Vorwahlzeit in Kolumbien: Welle von Attentaten, Morden und Sabotage gegen die Opposition

Paramilitärs haben das Sagen über die Wahlen in einigen Zonen. Gustavo Petro bedroht. Versuchtes Attentat gegen Kandidat:innen des Pacto Histórico

kolumbien_pacto_historico_kundgebung_wahlkampf_1-22.jpeg

"Hoffnung": Kundgebung des Pacto Histórico in Pasto, Departamento de Nariño. Ein Wahlsieg der Koalition soll mit aller Gewalt verhindert werden
"Hoffnung": Kundgebung des Pacto Histórico in Pasto, Departamento de Nariño. Ein Wahlsieg der Koalition soll mit aller Gewalt verhindert werden

Bogotá. Knapp fünf Wochen vor den Kongresswahlen und vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien weist die progressive Wahlkoalition Pacto Histórico (Historischer Pakt, PH) auf die "gravierende Menschenrechtssituation" landesweit und auf "fehlende Wahlgarantien" hin. Sie macht dafür den Präsidenten Iván Duque verantwortlich.

Tatsächlich gab es im Januar 13 Massaker mit 39 Opfern. Zudem wurden Gebäude von Basisorganisationen und Wahlkampfbüros mit Bomben attackiert oder bedroht. In einigen Regionen führen paramilitarisierte Farc-Dissidentengruppen Krieg gegen die organisierte Bevölkerung und traditionelle Paramilitärs machen politisch mobil  gegen das Linksbündnis.

Im Januar wurde eine zweieinhalb Kilo schwere Sprengladung im Restaurant von Demobilisierten der ehemaligen Farc-Guerilla "Casa Alternativa" gefunden, wo sieben Kongresskandidat:innen des Pacto Histórico gerade tagten. Einige Stunden davor war die Polizei dort gewesen. PH-Angehörige fragten den Verteidigungsminister, ob die Polizei über das Attentat Bescheid wusste und wenn ja, wieso sie sie nicht darüber unterrichtete.

In Cali haben Unbekannte gedroht, das Hauptbüro der dortigen PH-Wahlkampagne zu sprengen, informierte der Kandidat für das Repräsentantenhaus, Alirio Uribe. Die Ermittlungsbehörden bleiben aber untätig. Auch im Departamento de Arauca wurde im Januar von einem vereitelten Bombenattentat und von einer Autobombe berichtet, die die Büros mehrerer lokaler Basisorganisationen zerstörte und einen Wachmann tötete.

Die Kongresskandidat:innen des Pacto Histórico prangern außerdem Todesdrohungen der paramilitärischen Struktur "Águilas Negras" (Schwarze Adler) gegen wichtige Persönlichkeiten der Koalition wie den aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro und den Senatskandidaten Iván Cepeda an. Darin werden die beiden Politiker als "die Drohung des progressiven Kommunismus" und "die Diktatur des progressiven, kommunistischen Narco-Terrorismus" bezeichnet, die "Kolumbien in ein neues Venezuela verwandeln" würden.

Die "Águilas" bedrohen auch wichtige Zeugen der Übergangsjustiz und der Wahrheitskommission gegen Unterstützer des Paramilitarismus sowie den Vorsitzenden der Nachfolgepartei der Farc-Guerilla (Comunes), Rodrigo Londoño.

Besonders physisch und psychologisch betroffen von der aktuellen Gewaltwelle seien die Gemeinden auf dem Land und im Hinterland, klagt der Pacto Histórico: Der Einmarsch paramilitärischer Gruppen, die zum einen jeden Widerstand der organisierten Bevölkerung gegen den Drogenanbau eliminieren, zum anderen die Wahlen gewaltsam beeinflussen wollen, ist in vielen Regionen Kolumbiens zu beobachten.

Auf der nördlichen Bergkette Sierra Nevada de Santa Marta sollen Paramilitärs der Gaitán-Selbstverteidigungsgruppen (AGC) Jugendliche festgehalten haben, weil sie sie verdächtigten, Stimmen für Petro zu sammeln. Die AGC selbst unterstützt einen anderen Kandidaten, so das Portal Contagio Radio.

Ähnlich geschieht dies in der nördlichen Region Montes de María zwischen den Departamentos de Sucre und de Bolívar. Der Clan del Golfo, auch als AGC bekannt, verhält sich dort wie eine Besatzungsarmee, kontrolliert den Personenverkehr, ermordet Kleinbäuer:innen und Händler:innen und verordnet, wen die Einwohner:innen als Kongressabgeordnete und Präsidenten wählen sollen.

In Arauca wurden in den letzten Wochen 1.531 Personen vertrieben. Dort führen paramilitärische Ex-Farc-Strukturen Krieg gegen die organisierten Gemeinden. Basisorganisationen vermuten, dass sie mit dem Militär zusammenarbeiten.

Am 31. Januar erklärrte die Farc-Dissidentengruppe "Frente 10" lokale Krankenhäuser, Kleinbauernkooperativen und Vereine von Arauca zu militärischen Ziele. Sie seien mit dem "Clan der ELN", das heißt mit der Guerilla Nationale Befreiungsarmee (ELN) verbunden, heißt es in einem Kommuniqué.

Auch in der pazifischen Hafenstadt und Gemeinde Buenaventura prangern Kleinbäuer:innen und Indigene die Ankunft neuer bewaffneter Gruppen an. Diese verordnen Ausgangs- und Straßensperren, brennen Wohnungen nieder und erstellen Listen von Menschen, die sie umbringen werden. Innerhalb von zwei Monaten sind dort 722 Familien vertrieben worden.

Im Departamento de Cauca eskalieren die Morde in den indigenen Gemeinden. Zuletzt hat die Ex-Farc-Struktur Columna Jaime Martínez den Angehörigen der Guardia Indígena (Indigene Wache) José Albeiro Camayo Güeito ermordet. Die Gemeinden beschuldigen das Militär und die Polizei, diese Farc-Dissidenten zu unterstützen.

Ähnlich geht es in vielen anderen Gebieten des Landes zu, wo ein Wahlkampf um 16 Sondersitze im Repräsentantenhaus stattfindet. Sie wurden im Friedensvertrag für die 16 Regionen des Landes vereinbart, die vom bewaffneten Konflikt bis 2016 am härtesten getroffen waren.

Laut der Nichtregierungsorganisation Misión de Observación Electoral (Wahlbeobachtungsmission) besteht in 58 Prozent der Gemeinden der 16 Sonderwahlregionen die Gefahr, dass dort keine freien Wahlen stattfinden werden: Die Sicherheit der Kandidat:innen und Vertreter:innen der Konfliktopfer ist nicht gewährleistet. Darüber hinaus klagt sie über mangelnde Garantien für transparente Wahlen. Bislang habe die Wahlbehörde nicht zugelassen, dass die entsprechende Software überprüft wird und die biometrische Personenerkennung nur in 20 Prozent der Wahllokale eingerichtet.

Zudem wurde bekannt, dass Großunternehmen in ihren Verträgen mit anderen Unternehmen derzeit eine Sonderklausel einfügen, laut der die Vertragsbedingungen nichtig sind, wenn Gustavo Petro die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Die "Petro-Klausel" sei Ausdruck der Angst der Großunternehmer:innen vor dem Sieg eines progressiven Kandidaten. Sie könnte eine Panik in Bezug auf die Wirtschaft bewirken und auf diese Weise die Wahlen beeinflussen.