Kolumbien / Politik

Kolumbien: Mehr als 10.000 ehemalige Kämpfer:innen der Farc-EP haben Übergangszonen verlassen

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Ex-Farc-Kämpfer:innen mussten die ECTR Román Ruiz aus Sicherheitsgründen verlassen
Ex-Farc-Kämpfer:innen mussten die ECTR Román Ruiz aus Sicherheitsgründen verlassen

Bogotá. Die Mission der Vereinten Nationen (UNO) zur Verifizierung des Friedensabkommen hat ihren Bericht präsentiert und nach fünf Jahren der Umsetzung eine Bilanz gezogen. Demnach vollziehen 10.500 der insgesamt rund 14.000 ehemaligen Kämpfer:innen der Farc-EP ihre Wiedereingliederung in das Zivilleben außerhalb der dafür eingerichteten 24 "Territorialen Gebiete für die Ausbildung und Wiedereingliederung" (Espacios Territoriales de Capacitación y Reincorporación, ETCR). Die Gründe dafür liegen in der unzureichenden Umsetzung des Friedensabkommen und der andauernden Bedrohungslage für die Unterzeichner:innen des Abkommens.

So fehlt es in den Übergangszonen noch immer an Wohnraum, und der schwierige Zugang zu finanzieller Unterstützung oder Krediten bleiben große Hürden bei der Umsetzung wirtschaftlicher oder anderer Projekte, beispielsweise im Bildungsbereich.

303 ehemalige Kämpfer:innen wurden bis zur Veröffentlichung des Berichts am 13. Januar ermordet, hinzu kommen 79 Mordversuche und 25 Verschwundene.

Insbesondere in Zonen aus denen sich die Farc-EP im Zuge der Entwaffnung zurückzogen, haben sich die bewaffneten Auseinandersetzungen um territoriale, wirtschaftliche und soziale Kontrolle intensiviert. Allein während der letzten vier Monaten des Jahres 2021 registrierte die UNO 34 Fälle massiver, gewaltsamer Vertreibung der lokalen Bevölkerung von der insgesamt 11.800 Personen betroffen sind. 72.600 Menschen waren im gesamten Jahr 2021 von Vertreibungen betroffen und 65.200 Menschen wurden gewaltsam ihrer Freiheit beraubt. Ein Großteil der Betroffenen sind indigene (41 Prozent) und afrokolumbianische (29 Prozent) Bevölkerungsgruppen, die überproportional häufig Opfer von Gewaltverbrechen werden.

Einige der Übergangszonen mussten bereits aufgelöst werden, da die Sicherheit der dort lebenden Menschen nicht gewährleistet werden kann und Bedrohungen von unterschiedlichen nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren ausgingen, darunter Paramilitärs oder dissidentische Gruppen der Farc. Dies ist beispielsweise in Macarena (Departamento Meta) und in drei weiteren ETCR in den Departamentos Cauca und Putumayo der Fall, für die jetzt neue Übergangszonen eingerichtet werden müssen.

Fast 9.000 ehemalige Farc-Kämpfer:innen profitieren von staatlich geförderten wirtschaftlichen Projekten, die elementar für deren Reintegration in das Zivilleben sind. Die nachhaltige Entwicklung dieser Projekte ist durch fehlende Sicherheitsgarantien und unzureichenden Zugang zu landwirtschaftlichen Nutzflächen oder finanzieller Unterstützung stark eingeschränkt. Die langsame Umsetzung zentraler Punkte des Friedensabkommens, wie beispielsweise der umfangreichen Landreform oder regionaler Investitionen in Infrastruktur und Versorgung, erschweren die Durchführung wirtschaftlicher Projekte wie auch deren Einbindung in überregionale Wirtschaftskreisläufe.

Paradoxerweise sind es gerade die im Friedensvertrag besonders priorisierten Zonen des Landes, in denen bewaffnete Auseinandersetzungen nichtstaatlicher Akteure andauern und ein Anstieg von Menschenrechtsverletzungen zu verzeichnen ist. Der "historische Wendepunkt", zu dem der Friedensvertrag zwischen der Farc-EP und der kolumbianischen Regierung erklärt wurde, mag sich in Anbetracht der veränderten Konfliktdynamiken und steigender Mordraten seit dem Friedensabkommen nicht so recht einstellen. Von einer Beseitigung der Ursachen des bewaffneten Konfliktes, wie es der Friedensvertrag vorsah, kann keine Rede sein.

Proteste historischer Größenordnung in allen Teilen des Landes forderten in den letzten drei Jahren immer wieder eine Umsetzung des Friedensabkommens, Sicherheitsgarantien und die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit der ELN-Guerilla.

Die aktuelle Regierung unter Präsident Iván Duque hat die soziale Ungleichheit im Land weiter verschärft und die Forderungen der sozialen Bewegungen ignoriert. Der Ausgang der anstehenden Kongresswahlen im März sowie der Präsidentschaftswahlen im Mai 2022 wird bei der Frage nach dem weiteren Verlauf des Friedensprozesses und einer demokratischen Öffnung fundamental sein. Das Mitte-links-Bündnis von Gustavo Petro, das am ehesten die Forderungen sozialer Bewegungen aufgreift, liegt in aktuellen Umfragen vorne. In Anbetracht wiederkehrender Unregelmäßigkeiten bei Wahlen und der verbreiteten Praxis des Stimmenkaufs bleibt der Ausgang jedoch ungewiss.