Venezuela / Politik

Internationaler Strafgerichtshof untersucht formell mögliche Verbrechen in Venezuela

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Venezuelas Präsident Maduro und IStGH-Chefankläger Khan unterzeichneten ein "Memorándum de entendimiento"
Venezuelas Präsident Maduro und IStGH-Chefankläger Khan unterzeichneten ein "Memorándum de entendimiento"

Caracas. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), Karim Khan, leitet eine formelle Untersuchung angeblicher Menschenrechtsverletzungen in Venezuela ein. Dies kündigte er nach einem dreitägigen Besuch in Caracas an. Zugleich unterzeichneten Khan und die Regierung von Präsident Nicolás Maduro eine Absichtserklärung zur Erleichterung der Zusammenarbeit.

"Der Staatsanwalt beim Internationalen Strafgerichtshof hat die vorläufige Untersuchung abgeschlossen und wird Ermittlungen einleiten, um die Wahrheit gemäß dem Römischen Statut zu ermitteln", heißt es in dem Kooperationsabkommen, das bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt wurde.

Im September 2018 hatte die rechte Opposition Venezuelas mit Unterstützung Washingtons und einiger verbündeter Länder eine Klage eingereicht, in der sie die Regierung Maduro beschuldigte, Verbrechen gegen die Menschheit zu begehen. Die Vorwürfe gehen auf die staatliche Reaktion auf gewaltsame Proteste im Jahr 2017 zurück. Nach einer vorläufigen Prüfung wird nun formell ermittelt.

Bei den damaligen Protesten zum Sturz der Regierung blockierten von den USA unterstützte Oppositionsgruppen Straßen, verbrannten Menschen bei lebendigem Leib, schossen auf Sicherheitskräfte und zündeten Gebäude an. Während der monatelangen Unruhen starben über 130 Menschen, darunter Polizisten, Feuerwehrleute und Unbeteiligte. Laut der Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit wurden 28 Prozent der Todesfälle von Sicherheitskräften verursacht, 42 Prozent von der Opposition und Anstiftern, die Übrigen geschahen unter verschiedenen anderen Umständen.

In dem Kooperationsabkommen wird hervorgehoben, dass "kein Verdächtiger oder Zielperson identifiziert wurde", und die Ermittlungen dazu dienen, "die Wahrheit herauszufinden und festzustellen, ob es Gründe für eine Anklageerhebung gibt oder nicht". Zudem erkennt der IStGH die Bemühungen, Reformen und Ermittlungen des karibischen Landes an.

Auch wird festgehalten, dass die Regierung mit der IStGH-Entscheidung nicht einverstanden ist, da die Voraussetzungen für den Übergang zur Ermittlungsphase "nicht erfüllt wurden". Sie ist der Ansicht, dass die Beschwerden von den zuständigen staatlichen Institutionen untersucht werden sollten.

Man respektiere Khans Entscheidung, teile sie aber nicht, sagte Maduro. Dennoch werde das Abkommen "Zusammenarbeit, positive Komplementarität, gegenseitige Unterstützung und einen konstruktiven Dialog zur Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit" garantieren.

Khan betonte, die Untersuchung des IStGH dürfe nicht politisiert werden. "Wir haben uns verpflichtet, kooperativ und unabhängig zu arbeiten", sagte er und lobte den "offenen Dialog" der venezolanischen Behörden.

Die venezolanische Rechtsexpertin Laila Tajeldine erklärte dazu, dass die Regierung trotz ihrer Ablehnung der formellen Untersuchung bereit sei, "jeden Fall zu überprüfen" und eng mit dem Gericht zusammenzuarbeiten. "Venezuela hat nichts zu befürchten. Das Land hat eine konstante Politik der Verteidigung und Wahrung der Menschenrechte vorzuweisen", sagte die Juristin.

Tajeldine erinnerte daran, dass der IStGH trotz anderslautender Erklärung Khans eine stark politisierte Organisation sei, die "nie eine Untersuchung gegen ein mächtiges Land eingeleitet" habe und sich in erster Linie auf die Verfolgung afrikanischer Nationen konzentriere.

Im Jahr 2020 hat der Gerichtshof eine Untersuchung der US-Kriegsverbrechen in Afghanistan rasch eingestellt. Und vor seiner Ankunft in Venezuela besuchte Khan Kolumbien, wo er eine 2004 eingeleitete Voruntersuchung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit während des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts für eingestellt erklärte.

"Kolumbien ist eines der Länder, in denen Straflosigkeit herrscht, in denen die Menschenrechte verletzt werden und jetzt wurde die Untersuchung eingestellt", so Tajeldine. Seit dem Friedensabkommen von 2016 wurden zudem über 1.200 soziale Anführer getötet.

Die Juristin äußerte die Hoffnung, dass der IStGH auch die von der Regierung Maduro im Februar 2020 eingereichte Klage vorantreiben werde, mit der sie erreichen will, dass gegen die US-Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschheit ermittelt wird, die durch die Verhängung der Sanktionen verübt wurden.

"Dieser Fall ist äußerst wichtig und könnte dem Gerichtshof eine gewisse Glaubwürdigkeit verschaffen", so Tajeldine.