Kolumbien / Politik

Regierung von Kolumbien will Paramilitär und Chef des Golf-Clans an die USA ausliefern

Nach der Festnahme Úsugas fordern Opfer seine Einbeziehung in die Sonderjustiz für den Frieden, um Hintergründe des Paramilitarismus aufzuklären

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Selfies an Bord eines Militärhubschraubers: Úsaga, "der Mann der drei Kriege", mit kolumbianischen Soldaten
Selfies an Bord eines Militärhubschraubers: Úsaga, "der Mann der drei Kriege", mit kolumbianischen Soldaten

Bogotá. Die Regierung von Kolumbien bereitet die Auslieferung von Dairo Antonio Úsuga alias "Otoniel", dem Anführer des sogenannten Golf-Clans, an die USA vor.

Der Paramilitär und Bandenchef wurde am 23. Oktober in der nordwestkolumbianischen Provinz Antioquia verhaftet. Zuvor war über sechs Jahre lang nach ihm gefahndet worden. Seine Festnahme wurde mit erheblichem Aufwand betrieben, über 3.000 Sicherheitskräfte sollen beteiligt gewesen sein.

"Otoniel" gilt als Anführer der paramilitärischen Gaitanistischen Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens (Autodefensas Gaitanistas de Colombia, AGC ) und war zugleich einer der meist gesuchten Drogenhändler Kolumbiens.

Am 2. Februar 2015 wurde die Militäroperation Agamenón gestartet, um die AGC aufzulösen, die von Regierung und Armee auch als "Clan del Golfo" bezeichnet werden, da sie hauptsächlich in der Subregion Urabá in der Provinz Antioquia, sowie in Córdoba, Sucre und Norte de Santander operieren.

Den Militäraktionen fielen in den folgenden Jahren mehrere seiner Vertrauensleute und Verwandte zum Opfer. Nun verkündete Präsident Iván Duque die Festnahme des "meist gefürchteten Drogenhändlers der Welt" – eine Behauptung, die mehrere Analyst:innen für übertrieben halten.

Auf den bislang veröffentlichten Fotos und Videos ist ein ruhiger Mann zu sehen, ohne Spuren eines vorangegangenen Kampfes oder einer erschöpfenden Verfolgung – sehr im Gegensatz zu Bildern von Festnahmen anderer Chefs oder Mitglieder krimineller Strukturen. Einige von Contagio Radio befragte Analyst:innen gehen daher davon aus, dass es sich möglicherweise nicht um eine Festnahme bei einer Militäroperation handelte, sondern dass sich Úsuga selbst gestellt haben könnte.

Die AGC sind über die Jahre zu einer kriminellen Struktur mit großer wirtschaftlicher und militärischer Macht geworden und sind in den wichtigsten Zonen für Produktion und Export von Kokain präsent, vor allem im Norden Kolumbiens. Nach der Festnahme ihres Chefs stellt sich die Frage nach ihrer Zukunft. Einige Expert:innen rechnen damit, dass sich eine militärisch strukturierte Organisation wie die AGC nicht einfach auflösen wird. Wahrscheinlicher sei ein Wechsel an der Führungsspitze oder ein Zerfall in mehrere Fraktionen, was die humanitäre Lage in den Regionen, in denen sie aktiv sind, weiter verschärfen würde.

Auf der anderen Seite könnte diese Festnahme auch die Stunde der Wahrheit für die Gemeinden und Gebiete bedeuten, die in den vergangenen Jahren unter den Aktivitäten der AGC zu leiden hatten, zumal an vielen dieser Orte immer wieder auf eine Komplizenschaft oder zumindest Untätigkeit seitens der dort anwesenden Sicherheitskräfte hingewiesen wurde.

Úsugas Gerichtsverhandlungen könnten dazu führen, die Wahrheit hinter den Operationen der AGC herauszufinden. Diese konnten den Drogenhandel und die Kontrolle über weite Landstriche ausüben, ohne dass die Armee offensiv darauf reagiert hätte. Da eine Auslieferung Úsugas wegen Drogenhandels in die USA geplant ist, wird es für die Opfer schwer, die Wahrheit zu erfahren.

Für die betroffenen Gemeinden hat sich mit der Festnahme von "Otoniel" noch nichts geändert. Es hat keine massenhaften Desertionen von AGC-Mitgliedern gegeben und man wartet ab, wer der neue Kommandant wird. Die Gemeinden versuchen weiterhin, Zwangsrekrutierungen und aufgezwungene Entscheidungen seitens der AGC zu verhindern.

Die Festnahme eines Anführers bedeute nicht, dass damit auch die von ihm befehligte Struktur aufgelöst wird, erklärte eine Aktivistin gegenüber Contagio Radio. Im Gegenteil, sie fürchtet interne Verwerfungen bei den AGC, deren Folgen wieder die Bevölkerung tragen müsste. "Für uns Opfer gibt es keine Gerechtigkeit von Seiten der normalen Justiz. Deshalb verlangen wir Garantien für ihn, und dass er nicht ausgeliefert wird und wir außergerichtlich die Situationen aufklären können, unter denen wir seit 2008 leiden“, so die Aktivistin. Die Sonderjustiz für den Frieden könne eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung spielen, wenn sie Úsuga als Zeugen für verschiedene Kriegshandlungen aufnähme, die bis zur Unterzeichung des Friedensabkommens mit der Farc-Guerilla im November 2016 begangen wurden,

Úsuga hatte sich zunächst der Guerilla EPL angeschlossen. Nach deren Entwaffnung 1991 schloss er sich den paramilitärischen Selbstverteidigungskräften Kolumbiens (Autodefensas Unidas de Colombia, AUC) an. Nachdem "Otoniel" aus der Region Urabá in die östlichen Ebenen verlegt wurde, um unter anderem im Department Meta am berüchtigten Massaker von Mapiripán teilzunehmen, stand er weiter unter Befehl des paramilitärischen Führers Daniel Rendón Herrera alias Don Mario.

Der Plan des AUC-Befehlshabers Vicente Castaño, sich in den östlichen Ebenen festzusetzen, ging bis zum Jahr 2006 auf. Doch im selben Jahr wurde die Entwaffnung der AUC mit der Regierung von Álvaro Uribe nach dem Gesetz 975 ausgehandelt. Gemeinsam mit Rendón gab auch "Otoniel" zunächst die Waffen ab.

In den folgenden Monaten kam es allerdings zu einer Reihe von Drohungen und Morden an mittleren Rängen der AUC. Einige fielen internen Streitigkeiten zum Opfer, andere sollten zum Schweigen gebracht werden. Schätzungen zufolge wurden 2.000 AUC-Mitglieder nach der Entwaffnung umgebracht. Úsuga, Rendón, Castaño und andere nahmen schließlich die Waffen wieder auf und bezeichneten sich in Anspielung auf den 1948 ermordeten populären Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán als "Autodefensas Gaitanistas de Colombia" oder "Los Urabeños".

Sie fühlten sich vom damaligen Präsidenten Uribe verraten, mit dem einige von ihnen Straflosigkeit, ein Ende der Ermordungen und den Erhalt ihrer Güter vereinbart hatten. Sie wollten sich gegen die Morde an ihren Mitgliedern verteidigen und versprachen, den Schutz und die Integrität der unter ihrer Kontrolle lebenden Bewohner:innen zu garantieren sowie soziale Entwicklung und Investitionen vorantreiben. Einige ihrer Wirtschaftszweige sind der Drogenhandel und andere landwirtschaftliche Geschäftsfelder in der Region Urabá.

Angesichts des im Jahr 2017 bevorstehenden Papstbesuchs und des Friedensvertrages mit der Farc-Guerilla wurde bekannt, dass sich "Otoniel" bereit zeigte, an einer juristischen Aufarbeitung mitzuwirken. Über sieben Monate lang wurden während der Regierung von Juan Manuel Santos verschiedene Möglichkeiten diskutiert, die jedoch schließlich am Unwillen des Generalstaatsanwalts scheiterten. So wurde die Gelegenheit versäumt, 2.500 Männer zu entwaffnen und vor Gericht zu stellen, ihre Gebiete unter Kontrolle der Armee zu bringen und einen Prozess für Wahrheit und Gerechtigkeit mit den Opfergruppen der AGC einzuleiten.

Trotz der Festnahme hunderter AGC-Mitglieder und der Tötung einige Befehlshaber gelang es den AGC nach dem Friedensvertrag mit den Farc, ihren Einfluss und die soziale Kontrolle in mehreren Regionen zu festigen.

Auch die US-Regierung hat nach "Otoniel" gefahndet und ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar ausgesetzt. Gegen den 50-Jährigen laufen über 120 Ermittlungsverfahren, er wurde zudem per Interpol-Haftbefehl gesucht.

Nun steht seine Auslieferung an die USA bevor.