Eskalation bei landesweiten Protesten in Ecuador bleibt aus

Ausnahmezustand wegen Sicherheitslage Mittel zum Zweck für neoliberale Politik des Präsidenten? Einfrieren der Spritpreise für Protestierende auf zu hohem Niveau

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An vielen Orten verlief der Protest gegen die neoliberale Politik der Regierung in Ecuador friedlich, allerdings nicht überall
An vielen Orten verlief der Protest gegen die neoliberale Politik der Regierung in Ecuador friedlich, allerdings nicht überall

Quito. Die von verschiedenen sozialen Organisationen angekündigten, mit Anspannung erwarteten Proteste gegen die neoliberale Politik der Regierung von Präsident Guillermo Lasso und die hohen Kraftstoffpreise in Ecuador haben zunächst nicht zu einer größeren Eskalation geführt. An einem landesweiten Protesttag kam es am Dienstag aber neben 37 festgenommenen Protestierenden, kleineren gewalttätigen Akten sowie temporären Straßensperren auch zur Unterdrückung friedlich verlaufender Proteste durch Polizei und Militär.

Am Mittwoch gingen die Proteste indes weiter. Wieder kam es zu Straßensperrungen wie von mehreren Abschnitten der Panamericana im Norden von Quito bis nach Ibarra oder weiter südlich zwischen Riobamba und Cuenca. In vielen Provinzen wie Tungurahua, Bolívar, Pichincha oder Pastaza im Amazonas wurde am Mittwoch den zweiten Tag in Folge demonstriert.

Am zweiten Protesttag ging die Polizei dabei vereinzelt gewaltsam gegen Demonstrierende vor. So wurde aus einigen Stadtteilen Quitos von Medien und Menschenrechtsorganisationen das Vordringen der Polizei unter dem Einsatz von Tränengas berichtet.

An den Protesten waren neben dem Indigenen Dachverband Conaie auch die größte Gewerkschaft des Landes (Gemeinsamte Front der Arbeiter, FUT), andere Gewerkschaften wie die Cedocut oder gewerkschaftlich organisierte Transportunternehmer beteiligt.

Im Oktober 2019 war es bei ähnlichen Protesten gegen die Politik des damaligen Präsidenten Lenín Moreno zu größeren Ausschreitungen und vielfachen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Einsatzkräfte gekommen.

Der Präsident der Conaie, Leonidas Iza, kündigte am Dienstagabend für Mittwoch weitere Proteste an und forderte die Regierung auf, die tags zuvor Festgenommenen freizulassen. Zudem rief er einen Ausnahmezustand für von Indigenen bewohnte Gebiete aus, da es dort vermehrt zu Präsenz von Militär gekommen sei.

Regierungsvertreter zeigten sich am Mittwoch zunächst hoffnungsvoll in Bezug auf eine Fortführung des Dialogs mit den an den Protesten beteiligten sozialen Organisationen. Präsident Lasso lud am späten Mittwochabend schließlich Conaie-Präsident Iza zu einem Gespräch für den 10. November ein.

Mesías Tatamuez, Vorsitzender der Cedocut, hatte im Vorfeld der Proteste erklärt, dass neben dem Anstieg der Benzin- und Dieselpreise auch die von Lasso geplanten Gesetze neoliberalen Charakters wie ein Arbeitsmarktgesetz im Fokus der Kritik stehen.

Der für die Partei Pachakutik bei den Präsidentschaftswahlen Anfang des Jahres angetretene und auch an den Protesten beteiligte Yaku Pérez verwies zudem auf durch die Pandora Papers öffentlich gewordene mutmaßliche Vergehen Lassos bezüglich dessen Privatvermögens in Steueroasen als einen Grund für die Proteste.

Seit Wochen schon nahm die soziale Spannung in dem Andenstaat zu. Nach den schwerwiegenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die zuvor ohnehin schon kritische wirtschaftliche Lage war zuletzt vor allem der angestiegene Preis für Benzin und Diesel ausschlaggebender Faktor für die Proteste.

Präsident Lasso hatte vergangenen Freitag das Einfrieren des Preises für Benzin auf 2,55 US-Dollar und von Diesel auf 1,90 US-Dollar pro Galone (3,78 Liter) angekündigt. Diese Werte entsprechen einer Preissteigerung um 45 Prozent im Vergleich zum Juni 2020.

Dies wollten die Organisatoren des Protestes nicht akzeptieren. So fordert der Conaie das Einfrieren auf 2,10 US-Dollar für Benzin bzw. 1,50 US-Dollar für Diesel. Der Präsident der FUT, Ángel Sánchez, sah in den vom Präsidenten angekündigten Preisen eine "Verhöhnung des Volkes".

Während der Conaie landesweit den Protest vorantrieb und bereits am Dienstag ab acht Uhr morgens in verschiedenen Provinzen erste Straßensperren errichtet wurden, stand die FUT an der Spitze des Protestmarsches in der Hauptstadt Quito.

Die Veranstalter hatten im Vorfeld und während der Proteste die Teilnehmenden zu einem gewaltfreien und friedlichen Protest aufgerufen. Auch die Regierung äußerte diese Hoffnung.

Es kam jedoch zu einzelnen Gewaltakten, wobei die Innenministerin Alexandra Vela am Dienstagabend äußerte, dass die Proteste von "Respekt und Gewaltlosigkeit" geprägt gewesen seien, auch wenn es wie am Plaza Santo Domingo in der Hauptstadt Quito zu einigen Steinwürfen auf Sicherheitskräfte gekommen war.

Allerdings hatten bereits in den Morgenstunden Militär und Polizei unter anderem mit dem Einsatz von Tränengas insbesondere auf Straßensperrungen reagiert, so in der Provinz Imbabura oder in der Provinz Cotopaxi. Im Kanton Daule soll mindestens eine Journalistin von staatlichen Einsatzkräften bedrängt worden sein.

Das Vorgehen von Polizei und Militär war auch durch die jüngst erfolgte Verhängung des Ausnahmezustands durch Lasso möglich geworden. Dieser sei laut Regierung notwendig geworden, da es seit Monaten eine steigende Kriminalitätsrate im Land gebe, die sich auch durch mehrere Gefängnisrevolten mit vielen Toten manifestiert habe (amerika21 berichtete). Grund für die vermehrte Kriminalität soll vor allem die stark zunehmende Bedeutung Ecuadors für Routen des internationalen Drogenhandels zwischen Peru und Kolumbien sein.

Durch den Ausnahmezustand hat die Regierung Polizei und Militär für 60 Tage mehr Befugnisse bei der Kontrolle von Personen und von öffentlichen Plätzen in neun der 24 Provinzen des Landes erteilt.

Deren Umsetzung liegt seit vergangener Woche auch in den Händen des neuen Verteidigungsministers Luis Hernández. In einem Interview äußerte er, man müsse "eine größere Kontrolle über das ganze Land" haben, es "von innen kontrollieren" und wissen, was überall vor sich gehe. "Das Territorium zu kontrollieren" sei die Politik der Regierung, so Hernández.

Der Ausnahmezustand könnte es dem Präsidenten ermöglichen, das Parlament für einen gewissen Zeitraum zu entmachten. Lasso verfügt nicht über eine Mehrheit verfügt und drohte dem Parlament bereits mit einem Alleingang, sollte dieses von ihm geplante Gesetzesprojekte weiterhin blockieren. Dies sei während der Gültigkeit eines Ausnahmezustands nach Ansicht des Verfassungsrechtlers André Benavides auf Grundlage des Artikels 140 der Verfassung möglich. Der Präsident könnte dadurch mehrere Gesetze am Parlament vorbei verabschieden, darunter ein Steuergesetz, ein Arbeitsmarktgesetz und ein Gesetz für Investitionen.

Außerdem könnte Lasso aufgrund des sogenannten "Kreuztods" (muerte cruzada) laut Verfassungsartikel 148 bei Blockierung des "Nationalen Entwicklungsplans" durch das Parlament dieses für sechs Monate auflösen und die neuen Gesetze durch das Verfassungsgericht verabschieden lassen.

Dies könnte die Strategie sein, sollte das Parlament die Gesetzesvorhaben von Lasso nicht akzeptieren. Noch in dieser Woche will der Präsident einen Gesetzesentwurf für eine Steuerreform vorlegen. Die anderen Gesetze sollen im Abstand von 30 Tagen folgen.

Gewerkschaften wie die FUT hatten gemeinsam mit Parlamentariern vergangene Woche ihrerseits Präsident Lasso Pläne für eine Arbeitsmarktreform vorgelegt.