Santa Cruz/La Paz. Während die Justiz in Bolivien weiter an der Aufabreitung des Putsches arbeitet, hat die Opposition in dieser Woche zu neuen Protesten aufgerufen. Zunächst war die Haft für die frühere De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez verlängert worden. Derweil gibt es auch neue Erkenntnisse über die Rolle des ultrarechten Politikers und Gouverneurs der Provinz Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, während des Putsches gegen Evo Morales vor knapp zwei Jahren. Am Montag soll in La Paz, dem Regierungssitz, am Dienstag sogar landesweit protestiert werden.
Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft bekanntgegeben, die Untersuchungshaft der seit März inhaftierten ehemaligen "Übergangspräsidentin" Áñez aufgrund der Ermittlungen zum Staatsstreich von 2019 um weitere fünf Monate zu verlängern.
Der "Putschfall" wurde aufgrund einer Klage der ehemaligen Abgeordneten der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (Movimiento Al Socialismo, MAS), Lidia Patty, eröffnet.
Neben Áñez gibt es allerdings auch gegen Camacho und seinen Vater, José Luis Camacho, Anschuldigungen. Camacho war während der Proteste 2019 gegen die Wiederwahl von Morales schnell zum Anführer des Anti-Morales Lagers aufgestiegen. Er und sein Vater wurden ursprünglich zusammen am Donnerstag dieser Woche von der Staatsanwaltschaft in La Paz vorgeladen, um in dem Fall auszusagen. Darüber hinaus wurden auch der ehemalige Präsident Jorge Tuto Quiroga und der Führer der Nationalen Einheit (Unidad Nacional) Samuel Doria Medina als Zeugen einbestellt.
Die Staatsanwaltschaft verschob die Vorladung von Camacho allerdings, weil sie "zunächst die Aussage seines Vaters aufnehmen" wolle, wie Staatsanwalt Omar Mejillones am Mittwoch mitteilte. Für die Vorladung von Camacho wurde noch kein neuer Termin festgesetzt.
In einem kürzlich veröffentlichten Video ist zu hören, wie Camacho Putschaktionen gegen Morales 2019 durchführte. In dem Video erzählt er unter anderem, dass sein Vater den Putsch mit dem Militär und der Polizei "abgeschlossen" habe und sich mit einem Bergarbeiter in La Paz traf, der ihm anbot, den damaligen Präsidenten Morales zu stürzen.
Wie das Nachrichtenportal Plurinacional berichtet, wurde das Geständnis im Dezember 2019 abgelegt, als Jeanine Añez bereits die bolivianische Präsidentschaft an sich gerissen und ihr Kabinett mit den Männern von Camacho zusammengestellt hatte.
Auf einer Kundgebung vor seinem Gouverneursamt richtete Camacho am Mittwoch eine Botschaft an die Regierung von Luis Arce: "Die Mobilisierungen vom Mittwoch haben gezeigt, dass die Flamme der 21 Tage des Jahres 2019 noch nicht erloschen ist", und warnte, dass "wir diese zweite Runde wieder gewinnen werden". Die "erste Runde" bezieht sich auf die Proteste 2019, in denen Camacho den angeblichen Wahlbetrug der MAS angeprangert hatte.
Die Bürgerbewegung "Pro Santa Cruz Komitee" betrachtete die Vorladung als "ungerechte Maßnahme" und "neuen Affront gegen alle Bürger von Santa Cruz durch den Zentralismus".
Sie hatte 2019 mit ihrem damaligen Vorsitzenden Camacho die Proteste angeführt, die letztendlich den Rücktritt von Evo Morales im Jahr 2019 erzwangen.
In einem Anfang der Woche veröffentlichten Kommuniqué informiert das Komitee, dass seine Mitglieder zur Verteidigung und Unterstützung ihres Gouverneurs Camacho zum Streik mobilisieren werden. Der Vorsitzende des Bürgerkomitees, Rómulo Calvo, rief zur Teilnahme am "Großen nationalen Marsch für Demokratie" am 10. Oktober in La Paz sowie zur Beteiligung beim landesweiten Streik am 11. Oktober auf.
Ferner fordern die Mitglieder im Kommuniqué die Regierung dazu auf, die "politischen Verfolgungen der Justiz" gegen Camacho und die Bürgermeister von La Paz und Cochabamba einzustellen sowie Áñez freizulassen.
Die Regierung sieht in den angekündigten Streiks der Opposition Versuche, ihre in die Wege geleiteten Maßnahmen zur Reaktivierung der Wirtschaft nach der Pandemie zu "sabotieren".
Verteidigungsminister Edmundo Novillo geht davon aus, dass die Oppositionssektoren versuchen, einen "Kompromiss" in Bezug auf die Todesfälle während der politischen Krise 2019 zu erzwingen.
Auch der MAS nahestehende Bewegungen und Gewerkschaften wie die Confederación Sindical de Comunidades Interculturales Originarias de Bolivia (CSCIOB) und die Federación Sindical Única de Trabajadores Campesinos de Santa Cruz gehen davon aus, dass die für den 10. und 11. Oktober anberaumten Maßnahmen ein "Misserfolg" sein werden, da sie lediglich der Reaktivierung der Wirtschaft des Landes schaden wollen.