Ecuador: Aufklärung der dritten Gefängnisunruhe in diesem Jahr beginnt

Staat macht Kämpfe zwischen Banden für die Gewalt verantwortlich. Zivilgesellschaft verurteilt strukturelle Überbelegung in den Haftanstalten

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Der Direktor der SNAI, Bolívar Garzón, im Gespräch mit Medien
Der Direktor der SNAI, Bolívar Garzón, im Gespräch mit Medien

Guayaquil. Bei der Aufklärung der schweren Ausschreitungen in dem Gefängnis "Litoral" der Küstenstadt Guayaquil gibt es mittlerweile neue Erkenntnisse. Die Zahl der Todesopfer unter den Insassen ist seit dem Vorfall vom 28. September bis zum vergangenen Wochenende auf 118 gestiegen. 86 weitere wurden verletzt, sechs davon schwer.

Das Ereignis ist kein Einzelfall: Ende Februar kam es zu Unruhen in mehreren Gefängnissen des Landes mit insgesamt 79 Todesopfern. Ende Juli verzeichneten die Haftanstalten von Guayas und Cotopaxi einen Aufstand, bei dem insgesamt 79 Häftlinge starben. Im Fall von Guayaquil ereigneten sich allerdings der größten Gefängnisaufstand in der Geschichte Ecuadors.

Lokalen Medien zufolge bekämpften sich Insassen mit Schusswaffen und Granaten untereinander. Zudem kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Insassen und der Polizei. Angeforderte Spezialeinheiten, insgesamt 3.600 Polizei- und Militärangehörige, konnten die Kontrolle wiedererlangen. Sie führten am vergangenen Freitag eine Razzia durch, bei der drei Pistolen, 435 Stück Munition, 25 Messer, explosives Material sowie Drogen beschlagnahmt wurden.

Der Nationale Dienst für die integrale Betreuung von der Freiheit beraubten Personen (SNAI) gab vergangenen Sonntag bekannt, dass vier Häftlinge im Zuge der Tumulte geflüchtet sind.

Die Ursachen des Aufstands sind bislang noch nicht endgültig aufgeklärt. Indizien deuten jedoch darauf hin, dass ein Machtkampf zwischen verschiedenen Bandenmitgliedern, die mit mexikanischen Drogenkartellen in Verbindung stehen, auschlaggebend war.

Ein weiterer Grund für die Eskalation dürften nach Ansicht von Experten auch die menschenunwürdigen Bedingungen vor Ort sein. In Guayaquil sind die nun betroffenen Gebäude der Haftanstalt beispielsweise zwischen 62 und 67 Prozent überbelegt. Darauf machte auch die Organisation Allianz gegen Gefängnisse Ecuador gemeinsam mit anderen Verbänden aufmerksam. Sie ziehen die Aussage der Regierung, es habe sich um einen Machtkampf zwischen verschiedenen Bandenmitgliedern gehandelt, in Zweifel.

"Das von den hegemonialen Medien verbreitete Narrativ des 'Bandenkriegs' ignoriert die strukturellen und systemischen Ursachen der Gewalt, wie die prekären Bedingungen im Gefängnis, die Isolation, die Korruption der Verwaltung und die unverhältnismäßige Belastung der verarmten Familien durch die Kosten der Inhaftierung (...) Darüber hinaus macht das Narrativ die Mehrheit der Gefängnisinsassen unsichtbar: arme Frauen, Menschen, die Bagatelldelikte begangen haben, um zu überleben, Menschen in Untersuchungshaft, Menschen, die trotz verbüßter Strafe nicht entlassen wurden", so die Allianz gegen Gefängnisse Ecuador.

Ein von der Nachrichtenagentur Reuters verbreitetes Video von vor einer Woche zeigt Protestierende und auf Nachrichten wartende Angehörige vor der Haftanstalt Litoral. Sie versuchen vergebens, Polizeiautos am Durchkommen zu hindern, um eine Intervention zu verhindern.

Der Direktor der SNAI, Bolívar Garzón, ehemaliger Direktor der Haftanstalt von Latacunga, kündigte nun zusammen mit der Regierungsministerin Alexandra Vela einen Plan zur Umstrukturierung und Prävention an. Mithilfe konkreter Maßnahmen soll das Problem der strukturellen Überbelegung in dem Gefängnis Litoral angegangen werden, darunter die Sanierung und Erweiterung des Komplexes, die Aufteilung und Umverteilung der Insassen sowie die Begnadigungen von älteren Menschen, Behinderten und Schwerstkranken. In Cotopaxi befindet sich der Bau eines neuen Komplexes bereits in den Vorbereitungen.

Ein Großteil der Toten konnte mittlerweile identifiziert und an die Angehörigen übergeben werden. Für die Bestattung der Toten möchte die Stadtverwaltung von Guayaquil Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) hat die ecuadorianische Regierung aufgefordert, die Zustände in den Gefängnissen zu untersuchen und präventiv zu verbessern.