Wieder landesweite Proteste und Streiks in Kolumbien

Streikkomitee fordert vom Kongress Annahme von Gesetzesvorschlägen zugunsten der Armen. Massive Polizeigewalt gegen Protestierende in mehreren Städten, Zusammenstöße in Bogotá

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Demonstration in Bogotá am 28. September. Die Central Unitaria de Trabajadores hatte mit zum Streik aufgerufen
Demonstration in Bogotá am 28. September. Die Central Unitaria de Trabajadores hatte mit zum Streik aufgerufen

Bogotá et al. In zahlreichen kolumbianischen Städten sind am Dienstag erneut tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die neoliberale Politik von Präsident Iván Duque zu protestieren. Die im Nationalen Streikkomitee zusammengeschlossenen Gewerkschaftsorganisationen und Bewegungen hatten dazu aufgerufen.

Seit dem 28. April fanden an 50 aufeinanderfolgenden Tagen Proteste und Streiks gegen die neoliberalen Maßnahmen der Regierung statt.

Mit den neuen Mobilisierungen soll Druck auf den Kongress ausgeübt werden, die zehn Gesetzesentwürfe zu verabschieden, die vom Streikkomitee im Juli mit Unterstützung verbündeter Parteien vorgelegt, aber nicht aufgenommen wurden.

Diese zehn Gesetzesvorschläge befassen sich mit Themen wie staatliche Stärkung des Gesundheitssystems und kostenlose Bildung sowie Einführung eines Grundeinkommens, das Millionen von Menschen mit unzureichendem Einkünften zugutekommen würde.

Das Komitee sieht die Forderungen nicht nur ignoriert, sondern durch die gegenwärtigen Haushaltsdebatten konterkariert: "Entgegen den Forderungen des Nationalen Streikkomitees, der Opposition und der alternativen Fraktionen hat die Regierung die Steuerreform und den Gesamthaushalt der Nation durchgesetzt, der die Zahlung der Auslands- und Inlandsschulden um zehn Prozent erhöht, während unter anderem die Mittel für den Agrarsektor gekürzt werden und versucht wird, die Ausgaben des Staates, die zur Erfüllung seiner Verpflichtungen notwendig sind, für zehn Jahre einzufrieren", heißt es in einem Kommuniqué.

Zudem sprechen sie sich für eine Polizeireform, für die Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie für die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen und des Agrarsektors aus. Explizit werden auch Garantien für die Ausübung des Rechts auf friedlichen Protest eingefordert.

Seit August 2018 sind bei sozialen Mobilisierungen in Kolumbien nach Angaben der Organisation "Defender la libertad Asunto de todxs" mindestens 72 Menschen durch Polizeigewalt ums Leben gekommen.

40.000 Polizisten waren am Dienstag landesweit für die "Begleitung" des Streiks abgestellt.

Während die Protestaktionen während des Tages weitgehend friedlich verliefen, gingen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Beamte der Spezialeinheit zur Aufstandsbekämpfung (Esmad) am Abend mit massiver Gewalt gegen Teilnehmende vor. In Bucaramanga saßen Berichten zufolge Streikende, darunter auch Verletzte und Minderjährige, auf dem Campus der Universidad Industrial de Santander (UIS) fest, da die Esmad das Gelände umstellte und die jungen Leute Angst hatten, den Ort zu verlassen.

In der Landeshauptstadt Bogotá wurden stundenlange Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften vor allem an zwei Punkten gemeldet, dem Portal de las Américas, bekannt als "Portal des Widerstands", und im südöstlichen Stadtbezirk Usme in der Nähe der "Brücke der Würde".

An der Mobilisierung teilnehmende Jugendliche und sie begleitende Menschenrechtsaktive prangerten an, Esmad-Angehörige hätten unter anderem einen jungen Mann festgehalten und dann bewusstlos liegen gelassen. Ein weiterer junger Mann musste operiert werden, nachdem er von einem Betäubungsgeschoss am Auge getroffen worden war. Erneut habe sich gezeigt, dass die Uniformierten direkt auf die Körper der Demonstrierenden zielten. Das Menschenrechtsnetzwerk Red Popular de Derechos Humanos berichtete von sechs schwer verletzten Demonstranten allein im Stadtteil Chicala von Bogotá.

"Tränengas ist nicht tödlich, aber wenn es ins Gesicht, in die Augen, auf die Brust oder auf den Unterleib abgeschossen wird, kann es Demonstranten töten oder lebenslang verstümmeln", stellte die Jesuitenorganisation "Centro de Investigación y Educación Popular / Programa por la paz" fest und sprach von "exzessiver Gewalt" gegen die Proteste am Dienstag.

Aus Usme berichten soziale Organisationen und Menschenrechtsgruppen zudem, dass bewaffnete Personen in Zivil Schüsse abgefeuert haben, die nicht nur die Demonstrierenden einschüchterten und ihr Leben gefährdeten, sondern die gesamte Gemeinde bedrohten. So habe ein Ladenbesitzer wahllos auf die protestierenden Jugendlichen und auch auf Menschenrechtsverteidiger und medizinische Brigaden geschossen.