Kolumbien / Militär

Die "falsos positivos" in Kolumbien: Greifen die Regeln der Übergangsjustiz?

Bislang fallen die Kriegsverbrechen des bewaffneten Konflikts unter die nationale Gerichtsbarkeit. Ob das so bleibt, könnte sich 2021 entscheiden.

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Opferverbände kritisieren Nachsicht der Sonderjustiz für den Frieden gegenüber Militärs
Opferverbände kritisieren Nachsicht der Sonderjustiz für den Frieden gegenüber Militärs

Bogotá. Die Staatsanwaltschaft von Kolumbien ermittelt in 29 Fällen gegen 22 Generäle des Militärs, die im Kampf gegen bewaffnete Gruppen erschossene Zivilisten als getötete Guerilleros ausgegeben haben sollen. Dies teilte der Oberste Gerichtshof des südamerikanischen Landes dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) vergangenen Dienstag in seinem Bericht mit.

"Falsos positivos" wird das Ergebnis der jahrelangen Praxis im kolumbianischen Militär genannt, die Ermordung von Zivilisten anzuordnen, um diese als getötete Guerilla-Kämpfer zu präsentieren.

2004 leitete der IStGH vorläufige Untersuchungen zu Verbrechen gegen die Menschheit in Kolumbien ein. Dabei geht es um Straftaten, die sich seit November 2002 (mit dem Beginn der Präsidentschaft Álvaro Uribes) ereignet haben.

Aus dem Bericht geht hervor, dass es im September insgesamt 2.314 offene Fälle gab, in denen gegen 10.949 Mitglieder des staatlichen Militärs ermittelt wird. Bis dato wurden 1.749 von ihnen verurteilt. Bei den Verbrechen geht es unter anderem um die Förderung und Ausbreitung des Paramilitarismus, Zwangsvertreibungen sowie Sexualverbrechen. Diese ereigneten sich in den Departamentos Norte de Santander, Magdalena, Meta, Casanare, Vichada, Huila, Antioquia und Córdoba.

Seit September haben Opferverbände mehrere Petitionen unterzeichnet, die den Entzug des Ausnahme-Rechtsschutzes für Mario Montoya und Hernán Mejía, zwei hohe Militärs, fordern. Nach Rechtslage der Sonderjustiz für den Frieden (Jurisdicción Especial para la Paz, JEP) steht Angeklagten das Recht, vorläufig auf freiem Fuß zu bleiben, und die Aussetzung eines Haftbefehls zu, solange sie im Sinne der JEP kooperieren.

Die Vertreter der Opfer beziehen sich mit ihrer Forderung hingegen auf eine unzulängliche Kooperation bei der Aufklärung der Verbrechen des Bataillon "La Popa" im Departamento Cesar zwischen 2002 und 2003. Montoya war unter Uribes Präsidentschaft, in der besonders viele "falsos positivos" verzeichnet wurden, Oberbefehlshaber der kolumbianischen Streitkräfte.

Die JEP wies die Forderung der Opferverbände vergangenen Mittwoch jedoch zurück, mit der Begründung, dass eine Anklage erst auf Basis von eindeutigem Beweismaterial erfolge. Bislang sei man jedoch noch in der ersten Phase der Ermittlungen gegen Montoya und Mejía, unter anderen hochrangigen kolumbianischen Militärs.

Auch Henry William Torres Escalante, ehemaliger Kommandant der Brigade XIV, wurde der JEP vorgeführt und gestand im Prozess im Juli seine Verantwortung für "falsos positivos". Die Opfer und Hinterbliebenen verweigerten die Prozessteilnahme aus Selbstschutz und Sorge vor Retraumatisierung, da der pensionierte General bis dato jegliche Verantwortung von sich gewiesen hatte.

Human Rights Watch kritisierte bereits im vergangenen Jahr, dass die kolumbianische Regierung, trotz laufender Untersuchungen des IStGH gegen Militärs, Generäle wie Nicacio de Jesús Martínez Espinel, Marcos Evangelista Pinto und Miguel Eduardo David Bastidas innerhalb der Streitkräfte befördert hatte.

Im Jahresbericht des IStGH zu den Beobachtungen der Übergangsjustiz in Kolumbien wurden die Fortschritte in der Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschheit durch die kolumbianischen Behörden ausgewertet. Von der Bewertung, ob Kolumbien seinen Verpflichtungen zur Aufklärung dieser Verbrechen nachkommt, hängt laut den Römischen Statuten ab, ob Den Haag offiziell Ermittlungen gegen den kolumbianischen Staat einleitet. Ein Entwurf mit Kriterien dafür ist für 2021 angekündigt. Die Rechtsprechung über Verbrechen, die im Zuge des bewaffneten Konflikts in Kolumbien begangen wurden, könnte an den Internationalen Strafgerichtshof abgegeben werden.