Chile: Gewerkschafter Cristián Cuevas steigt ins Rennen um die Präsidentschaft ein

"Volksliste" präsentiert Kandidaten und zieht ihn nach interner Kritik wieder zurück. Vorwahlen sollen durchgeführt werden. Cuevas will dennoch antreten

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Cristián Cuevas während einer Gewerkschaftsveranstaltung im Jahr 2009.
Cristián Cuevas während einer Gewerkschaftsveranstaltung im Jahr 2009.

Santiago. Der linke Gewerkschafter Cristián Cuevas will bei den Präsidentschaftswahlen in Chile im November antreten. Das parteilose Wahlbündnis "Volksliste" (Lista del Pueblo) hatte dies am 6. August angekündigt. Der ehemalige Minengewerkschafter sei, so das Kommuniqué, der Kandidat des Volkes, da er fähig sei, für seine Ideale auf Privilegien zu verzichten.

Aufgrund interner Streitigkeiten entzog die Liste ihm jedoch am 10. August die Unterstützung und kündigte interne Vorwahlen an. Ungeachtet dessen rief Cuevas dazu auf, ihn am gestrigen Mittwoch in Quintero, Valparaíso, beim offiziellen Start der Unterschriftenkampagne für seine Präsidentschaftskandidatur zu begleiten und ihn bei der Wahlbehörde zu unterstützen.

Weite Teile der linken Opposition und auch Kontrahenten begrüßten die Entscheidung Cuevas', an den Wahlen teilzunehmen. Gabriel Boric, der siegreiche Präsidentschaftskandidat aus den Vorwahlen des linken Parteienbündnis "Apruebo Dignidad", schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter, es sei eine Ehre mit ihm über die politischen Perspektiven des Landes zu diskutieren.

Cuevas war in seiner Vergangenheit Mitglied mehrerer Parteien, unter anderem der Kommunistischen Partei, und erreichte 2015 landesweite Aufmerksamkeit, als er aus Protest gegen die Mitte-links-Regierung von Michelle Bachelet seinen Posten in der Botschaft in Spanien niederlegte. Die Regierung hatte zuvor einen Streik von Bergarbeitern brutal niedergeschlagen, wobei ein Arbeiter tödlich von einer Polizeikugel getroffen wurde.

Später wurde er Teil des neuen linken Bündnisses Frente Amplio, dem auch Boric angehört. Cuevas brach mit dem Bündnis im Zusammenhang mit der sozialen Revolte von 2019, als Boric als einziger linker Parlamentarier ein Abkommen unterzeichnete, dass zwar einerseits den derzeitigen verfassungsgebenden Prozess einleitete, aber gleichzeitig die rechte Regierung von Sebastián Piñera in ihrem Amt bestätigte. Schon damals gab es schwerwiegende Vorwürfe wegen Menschenrechtsverletzungen gegen den aktuellen Präsidenten.

Cuevas ist einer der ersten öffentlich bekannten Minengewerkschafter, der sich offen als schwul bezeichnet und für die Rechte von LGBTQIA+-Menschen kämpft. Die Welt der Minen ist in Chile immer noch sehr machistisch geprägt.

Die "Lista del Pueblo" ist eine lose Wahlliste aus ehemaligen Politiker:innen linker Parteien, Aktivist:innen aus sozialen Bewegungen und Personen, die während der Revolte von 2019 allgemeine Bekanntheit erlangten. Sie ist geprägt durch einen Antiparteiendiskurs und kritische Aussagen zum aktuellen verfassungsgebendem Prozess, an dem sie als drittstärkste Kraft mit 26 Abgeordneten beteiligt ist.

Sie kritisiert, dass der Prozess durch die anhaltende Repression bei Demonstrationen, die Existenz von politischen Gefangenen und die fehlenden Bestrafung der Menschenrechtsverletzungen nicht richtig abgehalten werden könne. Linken Parteien wirft sie vor, mit einer menschenrechtsverletzendem Regierung zu verhandeln, korrupt und keine "wahre Vertretung des Volkes" zu sein.

Gleichzeitig kommt es auch zur Kritik an der "Lista del Pueblo", der vorgeworfen wird,  einen Antiparteiendiskurs zu fahren und gleichzeitig sehr undurchsichtige Machtstrukturen zu haben. So warfen am 10. August einzelne Gruppen der Liste in einem offenem Brief den "Führungspositionen" innerhalb des Bündnisses vor, einen Boykott gegen Cuevas geplant zu haben.

Zusätzlich hieß es noch wenige Tage vor der Proklamation von Cuevas, dass die Präsidentschaftskandidatur der Wahlliste eine Frau und/oder Vertreter:in eines indigenen Volkes sein sollte. Die Verfassungsabgeordnete der Volksliste, Cámila Zarate, vertrat Anfang August noch die Meinung, es sei sinnvoller, sich auf den verfassungsgebenden Prozess zu konzentrieren.

Diese widersprüchlichen Aussagen führten anscheinend zu internen Unstimmigkeiten. Wenige Tage nach der Proklamation kündigte die Liste über ihren Instagramaccount an, vorerst Cuevas' Kandidatur nicht zu unterstützen. Die Sprecherin der Liste, Verónica Guzmán, sagte am Dienstagabend, man werde weiteren Kandidaturen Raum geben und anhand der gesammelten Unterstützungunterschriften bei der staatlichen Wahlbehörde entscheiden, wer der oder die offizielle Präsidentschaftskandidat:in der Liste wird.

Somit gibt es bislang drei linke Kandidaten mit größerem Bekanntheitsgrad für die Präsidentschaftswahl im November 2021: der ehemalige Studentenführer Gabriel Boric, hinter dem ein breites Parteienbündnis, unter anderem aus der Kommunistischen Partei und der Frente Amplio steht; Cristián Cuevas und der Vertreter der kleinen marxistisch-stalinistischen Partei PC-AP Eduardo Artés. Auf der rechten Seite steht der ehemalige Sozialminister und Manager Eduardo Sichel, während die Mitte-Links Parteien noch eine gemeinsame Vorwahl durchführen müssen.