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Humanitäre Krise im Pazifik-Gebiet Nariños in Kolumbien

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Bericht des Kollektivs Orlando Fals Borda "Staatlicher Rassismus und Gewalt" im Pazifikgebiet von Nariño
Bericht des Kollektivs Orlando Fals Borda "Staatlicher Rassismus und Gewalt" im Pazifikgebiet von Nariño

Bogotá. Der strukturelle Rassismus und die Gewalt des kolumbianischen Staats gegen indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften hat im Departamento de Nariño eine 200-jährige Tradition. Zu diesem Schluss kommt ein kürzlich im Zentrum Erinnerung, Frieden und Versöhnung in Bogotá vorgestellter Bericht des Kollektivs Orlando Fals Borda (COFB), der in Allianz mit dem Menschenrechtsnetzwerk des Pazifiks von Nariño und des Küstenvorgebirges (REDHPANA) entstanden ist.

Das Gebiet des Pazifiks von Nariño liegt im Südosten Kolumbiens, hat etwas über 467.000 Einwohner:innen (Juni 2020) und umfasst die Gemeinden Barbacoas, El Charco, Francisco Pizarro, La Tola, Magüí Payán, Mosquera, Olaya Herrera, Ricaurte, Roberto Payán, Tumaco und Santa Bárbara. Die Bevölkerung setzt sich fast ausschließlich aus afrokolumbianischen und indigenen Gemeinschaften zusammen.

Der Bericht von COFB und REDHPANA zeigt unter anderem auf, dass die struktuelle Gewalt des Staates in dem untersuchten Gebiet gegen die ethnischen Gemeinschaften gerichtet ist und im Zusammenhang mit der Förderung der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen steht. Die Kolonialisierung und der Rassismus als Denkmuster änderten sich zwar, aber im Prinzip bestünden sie weiter. Ebenso wird dargestellt, dass rassistischer Hass Grundlage für das Ziel ist, die ethnischen Gemeinschaften von ihren Territorien zu verjagen. Die Folgen sind massive Zwangsvertreibungen, Verschwindenlassen von Personen und Morde an sozialen Anführer:innen. Diese Analyse unterschiedet sich somit von andern Einschätzungen der Konflikte in der Region, die vor allem die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen bewaffneten Akteuren in den Vordergrund stellen.

Der Bericht richtet schließlich auch Empfehlungen an die Wahrheitskommission, die Sonderjustiz für den Frieden sowie die Einheit der Suche nach Verschwundenen Personen.

Insgesamt 36 Prozent der lokalen Bevölkerung sind als Opfer in einem speziellen Register aufgenommen. Fast 60 Prozent der Bevölkerung fallen in die Kategorie "Personen mit unbefriedigten Grundbedürfnissen", in einigen Gemeinden beläuft sich dieser Indikator auf über 80 Prozent.

Nilson Estupiñan von REDHPANA sagte bei der Tagung in Bogotá, dass seine Organisation aufgrund der großen Probleme gegründet worden sei und heute 110 Gruppen umfasse. Kolumbien sei weiterhin ein rassistisches Land. Auch für Carlos Ángulo, ethnische Autorität und zivilgesellschaftliche Führungspersönlichkeit, ist dies klar: Beispielsweise gebe es zwischen der indigenen und der schwarzen Bevölkerung keine Massaker. Sie seien jedoch keineswegs nur Opfer, sie seien auch widerständig.

Ein Beispiel dafür, wie Widerstand und Kultur zusammenkommen, ist die "Gruppe der Sängerinnen Hoffnung und Frieden" aus Tumaco. Sie hat sich auf Initiative von Frauen, die sich bei der Suche nach verschwundenen Familienangehörigen engagieren, gebildet. Laut María Presentación Estacio, soziale Anführerin aus Tumaco, hat die Unterzeichnung des Friedensabkommens vor Ort keine Auswirkungen, die Bevölkerung sieht sich weiter vernachlässigt. Heute gebe es besonders bei den jungen Menschen viele Verschwundene. Die Gruppe der Sängerinnen verleihe ihr viel Kraft, mit der Suche nach den "Desaparecidos" fortzufahren, so Estacio.

Nilson Estupiñan sagte gegenüber amerika21, es sei nötig, dass die Einwohner:innen des Gebietes weiterhin zusammenstehen und gemeinsam dafür kämpfen, dass die Lebensbedingungen verbessert werden. Als Beispiel nennt er den erfolgreichen Kampf gegen die geplante Wiederaufnahme der Besprühungen von Territorien mit Glyphosat. Dies sei ein gutes Zeichen, auch für andere Regionen in Kolumbien.