Brasilien: Bolsonaro streicht Corona-Hilfe und treibt Menschen in extreme Armut

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Lange Schlange von Arbeitslosen in Brasilien. Die Anzahl wird in 2021 weiter steigen.
Lange Schlange von Arbeitslosen in Brasilien. Die Anzahl wird in 2021 weiter steigen.

Rio de Janeiro. Forscher erwarten, dass sich die Zahl der extremen Armut in Brasilien im kommenden Jahr verdoppelt und auf die Rekorde der 1980er Jahre steigt. Im Januar 2021 werden zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen. Dies sind schätzungsweise 22 bis 30 Millionen Brasilianer:innen. Damit verdoppelt sich ihr Anteil gegenüber 2019, als 6,5 Prozent bzw. 13,7 Millionen Menschen in extremer Armut lebten.

Auch die Zahl derjenigen, die in Armut leben, also mit weniger als 5,50 US-Dollar pro Tag auskommen, wird steigen, so der Leiter der Studie, Daniel Duque. Er geht von einem Anstieg bereits zu Jahresbeginn auf 25 bis 30 Prozent aus. Im Jahr 2019 waren 24,7 Prozent, also mehr als 51 Millionen Brasilianer:innen betroffen.

Die Prognosen gehen aus dem jüngsten Bericht des renommierten Forschungsinstituts Stiftung Getulio Vargas (FGV) auf Basis von Zahlen des Statistischen Bundesamtes und dem brasilianischen Bürgerschaftsministerium hervor.

Als Ursachen machen die Forscher:innen die Zunahme der Arbeitslosigkeit infolge der Corona-Pandemie sowie das Ende der Corona-Hilfszahlungen der Regierung an Geringerverdiener:innen und Tagelöhner:innen zum Jahreswechsel 2020/21 verantwortlich.

Der FGV-Ökonom José Feres betonte gegenüber der Presse, das "ungünstigste Szenario" aus Gesundheits- und Wirtschaftskrise treffe die Ärmsten am härtesten. "Die Pandemie hat sich stark auf die Beschäftigung von Frauen und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau ausgewirkt. Die Verschlechterung des Arbeitsmarktes hat die Schwächsten getroffen, was die Ungleichheiten tendenziell noch verschärft", so Feres.

Hinzu kommt, dass die Regierung unter Präsident Jair Bolsonaro die Pandemie-Hilfszahlungen mit Ende 2020 einstellt.

Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen und unter dem Druck des Parlaments sah sich die Regierung im März 2020 gezwungen, ein Hilfspaket für die Einkommensschwächsten einzurichten. Von den monatlichen Zahlungen von 600 Reais (etwa 94 Euro) profitierten fast 67,8 Millionen Brasilianer:innen, viele aus dem informellen Sektor. Während des Lockdowns im August war die staatliche Hilfszahlung für 44 Prozent der Bevölkerung die einzige Einkommensquelle, berichtete das Umfrageinstitut Datafolha. Im Dezember waren es noch immer 36 Prozent.

Dennoch beendete der neoliberale Wirtschaftsminister Paulo Guedes das Hilfsprogramm unter Verweis auf die hohen Ausgaben. Mit 322 Milliarden Reais (etwa 50 Mrd. Euro) war es das größte Sozialprogramm in der Geschichte des Landes.

Ökonomen warnen, die Kürzungen könnten der falsche Weg aus der Krise sein. Die Arbeitslosigkeit könnte Rekordwerte von 15 Prozent im Jahr 2022 erreichen, wenn die Regierung nicht gegensteuert, so Feres.

Der für Brasilien Zuständige bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Jens Arnold, warnt vor den Folgen mangelnder Investitionen in die Armutsbekämpfung: "Ohne entschlossenes Handeln können die Finanzierungskosten erheblich steigen, was die fiskalische Nachhaltigkeit und die Investitionsquote beeinträchtigt. Brasilien könnte eine lang anhaltende Rezession erleben, wie das 'verlorene Jahrzehnt' der 1980er Jahre."