Brasilien / Politik

Brasilien wählt bei Kommunalwahlen konservativ, Achtungserfolge für Linke

Stichwahlen zwischen Konservativen und Linken in vier Metropolen. Kandidat:innen von Bolsonaro-Partei verlieren fast überall, PT ebenfalls

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Guilherme Boulos, hier im Wahlkampf in Grajaú
Guilherme Boulos, Kandidat der PSOL für das Bürgermeisteramt in São Paulo, landete auf Platz 2 und zog damit in die Stichwahl ein

Brasília/São Paulo/Rio de Janeiro. Bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag ist Brasilien von einer konservativen Welle erfasst worden. In mehr als 80 Prozent der Städte und Gemeinden setzten sich Kandidat:innen mit hohem Vermögen von einer der vielen rechts-konservativen Parteien wie MDB, PDT, PRB, PP, DEM, PSL, Rep oder PSDB durch.

Die Stimmenanteile der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) gingen weiter zurück. Dagegen legte die Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL) deutlich zu. Erfolge der Linken gab es in den Großstädten Belém, Recife, São Paulo und Porto Alegre, wo es in zwei Wochen zu Stichwahlen kommt. Der Anteil der Nichtwähler:innen stieg weiter auf ein Rekordniveau von durchschnittlich 30 Prozent, in den Großstädten auf 40 Prozent.

In 57 Städten, darunter die größten des Landes, konnte sich aufgrund der hohen Zahl der Bewerber:innen keine:r der Kandidat:innen direkt im ersten Wahlgang durchsetzen. In São Paulo waren 13, in Rio de Janeiro 14 angetreten. Rio de Janeiro wählte rechtskonservativ. In der Stichwahl werden der frühere Bürgermeister Eduardo Paes von der reaktionären Partei DEM (37 Prozent) und der amtierende Marcelo Crivella (22 Prozent) den Bürgermeisterposten unter sich ausmachen. Den Evangelikalen Crivella wollen jedoch laut Umfrageinstitut Datafolha 65 Prozent der Wähler:innen in keiner zweiten Amtszeit sehen. Die Kandidatin der Mitte-Links-Partei PDT, Martha Rocha, erreichte 11,3 und die Kandidatin der PT, Benedita da Silva, nur 11,27 Prozent.

In São Paulo kam der amtierende Bruno Covas von der neoliberalem PSDB mit 33 Prozent wie erwartet auf den ersten Platz. Er war zudem landesweit Spitzenreiter bei den Wahlkampfkosten. Ihm standen 11,3 Millionen Reais (1,7 Millionen Euro) an Vermögen und 8,1 Millionen Reais (1,25 Millionen Euro) an Wahlkampfunterstützung seines konservativen Parteienbündnis aus Podemos, MDB und PP zur Verfügung. Sein linker Konkurrent in der Stichwahl, Guilherme Boulos von der PSOL, errang 20,24 Prozent. Boulos Vermögen bestand aus einem Kleinwagen im Wert von 2.400 Euro.

Die Bewerber:innen der PT schnitten vielerorts im einstelligen oder unteren zweitstelligen Prozentbereich ab. In São Paulo holte ihr Kandidat Jilmar Tatto mit 8,65 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Ausnahme blieb Recife, wo die PT-Kandidatin Marília Arraes mit rund 28 Prozent nur einen Punkt weniger als der Konservative João Campos erzielte.

Dennoch scheint die Talfahrt linker Kandidat:innen vorerst gebremst. Gerade in Metropolregionen errangen junge Bewerber:innen anderer linker Parteien beachtliche Erfolge. In Belém do Pará sowie in São Paulo kämpften sich mit Edmilson Rodrigues beziehungsweise Guilherme Boulos zwei Spitzenleute der PSOL in die Stichwahlen. In Porto Alegre gelang es der Vorsitzenden der kommunistischen Partei, Manuela D’Ávila, mit 29 Prozent der Stimmen knapp hinter dem erstplatzierten Melo mit 31 Prozent zu landen. Die 39-Jährige D’Ávila will vor allem die vielen Nichtwähler:innen gewinnen. "Wir müssen nun jene überzeugen, die sich der Stimme enthalten haben, weil sie von der Politik enttäuscht sind", so die Chefin der KP auf Twitter.

Die Linken erzielten dort Erfolge, wo sie durch intensive Basisarbeit die frühere Wähler:innenschaft der PT für sich mobilisieren konnten, die von ihr über Jahre vernachlässigt worden war. Boulos setzte sich wohl auch gegen andere durch, weil er sich einen integren Ruf als Koordinator der Wohnungslosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Sem Teto, MTST) erarbeitet hatte. "Wir sind mit nur 17 Sekunden Werbezeit im Fernsehen und ohne Unterstützung der Regierungsapparate aus Brasília oder São Paulo auf dem zweiten Platz gelandet. Nur mit dem Engagement der Leute auf der Straße, ohne Fake-News", so der 38-Jährige. In São Paulo konnte die PSOL ihre Abgeordneten mehr als verdoppeln.

In den Stichwahlen werden er, D’Ávila und Rodrigues in Belém auf die Unterstützung der anderen linken Parteien, auch der PT, zählen können. Die Erfolgsaussichten sind angesichts der finanziellen Überlegenheit der alten, konservativen Parteien und deren Machtbasis dennoch gering. Von den insgesamt 537.638 Kandidat:innen für ein Amt waren mehr als 12.000, rund vier Prozent, Multi-Millionär:innen.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums ist bei dieser Wahl die Erfolgswelle ultrarechter Politiker:innen massiv abgeebt. Während 2016 im Sog der Präsidentschaftskandidatur Jair Bolsonaros vielerorts Law-and-Order-Verfechter:innen in die Rathäuser oder Stadträte gewählt wurden, landeten diese nun oftmals auf dem letzten Platz. Von den 58 Personen, für die sich Bolsonaro im Wahlkampf stark gemacht hatte, schieden mindestens 33 direkt aus. Von den übrigen zwölf werden etliche in der Stichwahl scheitern, etwa Marcelo Crivella in Rio de Janeiro. In São Paulo erreichte Bolsonaros Mann, Celso Russomanno, mit rund elf Prozent gerade mal den vierten Platz. Nur zwei der Bolsonaro-Leute wurden direkt in Ämter gewählt – in Kleinstädten in Regionen des Agrarbusiness.

Die Ernüchterung über Bolsonaro machte auch vor seiner Familie nicht halt. In Rio de Janeiro sank die Zustimmung für Bolsonaros zweiten Sohn, Carlos, um 34 Prozent im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2016. Zwar wurde er mit den zweitmeisten Stimmen in das Stadtparlament wiedergewählt. Er verlor jedoch den Spitzenplatz an den PSOL-Abgeordneten Tarcisio Motta.

Ernüchterung brachte die Wahl auch für den Kampf gegen Rassismus: Zum ersten Mal in der Geschichte definierten sich mehr als die Hälfte der Kandidat:innen als schwarz oder dunkelhäutig, gewählt wurden aber fast nur Weiße. Beispielweise sank in Rio de Janeiro der Anteil der Schwarzen, die ins Amt gewählt wurden, auf 20 Prozent.