Bolivien / Politik

Erste Hochrechnungen: MAS gewinnt Wahlen in Bolivien deutlich in erster Runde

Großer und ausreichender Vorsprung von MAS-Kandidat Arce vor Mesa. De-facto-Präsidentin Áñez beglückwünscht. OAS verfolgt Stimmenauszählung und kündigt Bericht an

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Luis Arce von der linken MAS ließ sich schon als Wahlgewinner feiern
Luis Arce von der linken MAS ließ sich schon als Wahlgewinner feiern

La Paz/Santa Cruz/Cochabamba. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Bolivien sind am gestrigen Sonntag ohne große Zwischenfälle zu Ende gegangen. Ersten Hochrechnungen zufolge hat die Bewegung zum Sozialismus (Movimiento al Socialismo, MAS) die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen. Die amtierende Interimspräsidentin, Jeanine Áñez, gratulierte Arce bereits via Twitter zum Wahlsieg. Die endgültige Bekanntgabe der Wahlergebnisse wird für Mittwoch erwartet.

Noch in der Wahlnacht veröffentlichte das Umfrageinstitut Ciesmorinoch seine ersten Hochrechnungen. Demnach erreicht Luis Arce für die MAS über die Hälfte aller Stimmen mit einem komfortablen Vorsprung von 20 Prozentpunkten vor dem Zweitplatzierten Carlos Mesa für die Allianz Bürgergemeinschaft (Comunidad Ciudadana, CC). Die MAS habe in La Paz, Cochabamba, Potosí, Oruro und Pando gewonnen, wohingegen die CC die eher bevölkerungsschwachen Regionen Chuquisaca, Beni und Tarija für sich entscheiden konnte. Der ultrarechte Camacho habe lediglich in seiner Hochburg Santa Cruz gewonnen, und auch dort nur mit unter 50 Prozent.

Die Hochrechnungen basieren auf der Befragung von Wählerinnen und Wählern beim Verlassen der Wahllokale, die sogenannte "boca de urna". Damit scheint sich zu bestätigen, was selbst der CC-Senatskandidat in Santa Cruz, Luis Fernando Ortiz, gegenüber amerika21 geäußert hatte. Er erzählte von den ersten Mutmaßungen seitens Medienvertretern, dass die MAS im ersten Wahlgang gewinnen könne. Auch wenn die Hochrechnungen nicht hundertprozentig stimmen würden, zeigten sie zumindest eine Tendenz, was zu erwarten sei. Knapp eine Stunde danach verkündete das Oberste Wahlgericht um ein Uhr morgens bolivianischer Zeit, dass gerade einmal 6,14 Prozent aller gültigen Wahlakte ausgezählt worden seien.

Insgesamt waren 7.332.925 Wähler aufgerufen, ihre Stimme anzugeben. Neben der Direktwahl des Präsidenten für die Amtszeit von fünf Jahren stimmten sie auch über die Zusammensetzung der Plurinationalen Legislativen Versammlung Boliviens ab. Insgesamt verlief der Wahltag friedlich und bis auf wenige Ausnahmen ohne größere Zwischenfälle.

Hinter Arce und Mesa wurden auch dem ultrarechten Luis Fernando Camacho von der Allianz Creemos (Wir Glauben) Chancen ausgerechnet. Er macht aus seiner Sympathie für Donald Trump und Jair Bolsonaro kein Geheimnis. Von anfangs acht Anwärtern auf die Präsidentschaft hatten kurz vor der Wahl drei Kandidaten, darunter die amtierende Interimspräsidentin Jeanine Áñez, ihre Kandidatur zurückgezogen.

In den wichtigsten Städten waren die Wahllokale bereits von Weitem durch die langen Schlangen erkenntlich. Bereits in den frühen Morgenstunden standen die Menschen vor den Eingängen, bevor sie unter sanitären Sicherheitsmaßnahmen in die Gebäude und an die Urnen treten konnten. Neben den Wahlhelfern waren Vertreter der wichtigsten drei Parteien an den Wahltischen zugegen, um den ordnungsgemäßen Ablauf zu beobachten.

Die Wahlbeobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) drückte ihre Anerkennung für das bolivianische Volk aus. Sie lobte die massive und friedliche Stimmabgabe der Menschen. Trotz langer Schlangen vor den Wahllokalen und der besonderen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie hätten alle Beteiligten verantwortungsvoll gehandelt. Die Mission kündigte an, "den Verlauf der offiziellen Auszählung aufmerksam zu verfolgen und in den nächsten Tagen einen vorläufigen Bericht über den gesamten Wahlprozess zu veröffentlichen".

Die Rolle der OAS in Bolivien ist umstritten, weil sie bei den Wahlen im vergangenen Oktober vorzeitig von einem möglichen Wahlbetrug sprach und eine Annullierung der Wahlen empfohlen hatte. Daraufhin gab es im ganzen Land Massenproteste und einen Streik von 21 Tagen. Schließlich erzwang die Positionierung von Polizei und Militär die Rücktritte des Wahlsiegers Evo Morales und seines Vize Álvaro García Linera, wonach beide ins Exil gingen. Die OAS-Vorwürfe eines Wahlbetrugs sind inzwischen weitgehend entkräftet.

Fast im selben Wortlaut zeigte sich auch die EU-Delegation mit dem Wahlverlauf zufrieden. Gleichzeitig appellierte sie an alle Bolivianer, "das offizielle Auszählungsergebnis abzuwarten" und "jede Form von Provokation und Gewaltanwendung zu unterbinden, die den aktuellen Wahlprozess behindert oder zu verfälschen versucht". Die EU hatte unter Berufung auf die Covid-19-Gefahren ihre ursprünglich mit 100 Personen geplante Delegation auf sechs Personen reduziert.

Kritisch bewertet wurde der massive Einsatz von Polizei und Militär, den die De-facto-Regierung mit möglichen Anschlägen und Gewaltausbrüchen begründet hatte. Jesús Gonzalez von der Beobachtermission und Wahlbegleitung von Indígenas merkte gegenüber amerika21 an, dass "allein die hohe Militärpräsenz bei Wahlen Einschüchterung bedeutet". Bewaffnete Militärs in Wahllokalen sei für die Beobachtermission nicht nachvollziehbar. Die massiven Polizei- und Militärkontrollen wurden in der Nacht nach den Wahlen in den drei größten Städten fortgesetzt.

Für Diskussionen hatte unterdessen die Entscheidung des Obersten Wahlgerichts am Vorabend der Wahlen gesorgt, aufgrund von Problemen des technischen Systems die Bekanntgabe von vorläufigen Ergebnissen auszusetzen.

Der in Umfragen führende Präsidentschaftskandidat der MAS, Luis Arce, hatte bei seiner Stimmabgabe in der Hauptstadt La Paz die Suspendierung der Schnellauszählung kritisiert: "Sie hatten mehr Zeit als jedes andere Gericht, genug Zeit, um Tests durchzuführen", so Arce. Die MAS hätte die fehlende Transparenz des Auszählungssystems schon seit langem kritisiert. Dazu äußerte in Santa Cruz der CC-Vizepräsidentschaftskandidat der Bürgergemeinschaft, Carlos Pedraza, gegenüber amerika21, dass "er zwar anfänglich beunruhigt gewesen sei, jedoch nach Diskussion mit seinen Parteikollegen und eingehender Analyse die Entscheidung für vernünftig" erachtete. Besser sei es abzuwarten, bis valide Ergebnisse vorlägen.

Für das rechte Lager aus Santa Cruz stand jedoch schon vor der Wahl die Unrechtmäßigkeit des Urnengangs fest. Ab dem Zeitpunkt, als das Oberste Wahlgericht die MAS zur Abstimmung zugelassen habe, sei diese "unrechtmäßig" gewesen, so Rómulo Calvo, Präsident des Comité pro Santa Cruz.

Nach der Schließung der Wahllokale fand die Auszählung der einzelnen Wahltische vor Ort statt. Noch am selben Abend wurden die Stimmzettel und Ergebnisse zur Nachzählung zu zentralen Sammelpunkten transportiert. In Beni, Chuquisaca und Cochabamba kamen die Wahlunterlagen mit erheblicher Verspätung zu den Sammelpunkten. Im Verlauf des Mittwochs werden die offiziellen Wahlergebnisse erwartet.

Unterdessen mahnen verschiedene Stimmen zur Geduld. Gegenüber der Presse in Buenos Aires rief Ex-Präsident Evo Morales "alle Bolivianer und politischen Parteien" auf, "mit Ruhe die Auszählung jeder einzelnen Stimme abzuwarten und die Ergebnisse zu respektieren".