Referendum am 25. Oktober in Chile: Umfragen ergeben Mehrheit für neue Verfassung

Mehrheit auch für die direkte Wahl von Mitgliedern des Verfassungskonvents. Unsicherheit wegen Corona-Lockdown bleibt

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Auf der Straße für eine neue Verfassung: "Ich stimme dafür - Alles für meine Klasse". Kundgebung auf der Plaza Dignidad
Auf der Straße für eine neue Verfassung: "Ich stimme dafür - Alles für meine Klasse". Kundgebung auf der Plaza Dignidad

Santiago. Die Chileninnen und Chilenen bereiten sich auf das Verfassungsreferendum am 25. Oktober 2020. Sie stimmen darüber ab, ob dass Verfassungswerk ersetzt werden und wie eine Neufassung aussehen sollte.

"Die wichtigste politische Tatsache ist, das Erbe der Diktatur loszuwerden, die weiterhin wie eine Zwangsjacke die Möglichkeit politischer und sozialer Veränderungen in Chile verhindert", erläutert Claudia Heiss, Professorin am Institut für öffentliche Angelegenheiten der Universidad de Chile.

Die kommende Volksabstimmung ist das Ergebnis monatelanger Massenmobilisierungen. Sie wurde zunächst auf April 2020 festgelegt, aber aufgrund der Corona-Pandemie auf Oktober verschoben.

Mehr als 14 Millionen Menschen können wählen, darunter auch Ausländerinnen und Ausländer, die seit wenigstens fünf Jahren in Chile wohnen, sowie die etwa eine Millionen Chileninnen und Chilenen im Ausland

In der Geschichte des Landes gab es schon mehr als zehn Verfassungen. Dies ist aber das erste Mal, dass die Bevölkerung über eine Verfassungsänderung entscheidet.

In der Volksabstimmung werden zwei Stimmen abgegeben: Mit der ersten wird entweder für ("Apruebo") oder gegen ("Rechazo") eine neue Verfassung gestimmt. Mit der zweiten Stimme wird die Art des Gremiums gewählt, das für die Ausarbeitung zuständig wäre: Entweder eine "Convención Constitucional" (nur von gewählten Mitgliedern) oder eine "Convención Mixta" (eine Hälfte Parlamentarier, die andere gewählte Delegierte). Wird mehrheitlich für eine neue Verfassung gestimmt, werden ihre Verfasserinnen und Verfasser in einer weiteren Volksabstimmung im Jahr 2021 ausgewählt.

Verschiedene Befragungen zeigen eine breite Zustimmung zu einem neuen Grundgesetz. Aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Criteria geht hervor, dass 72 Prozent dafür (und nur 19 dagegegen) stimmen würden und 59 Prozent eine "Convención Constitucional" bevorzugen.

Die politischen Kampagnen zum Referendum starteten am 25. September in den sozialen Netzwerken, im Radio und im Fernsehen. In den Nachrichten werden mittags und abends die Spots beider Seiten gezeigt sowie über die beiden möglichen Ausarbeitungen der neuen Verfassung informiert.

Derzeit besteht Unsicherheit, ob und wie die Abstimmung unter Corona-Bedingungen stattfinden wird. Der Präsident könnte seinen Befugnissen nach die Volksabstimmung erneut verschieben.

Nach offiziellen Angaben ist Chile eines der zehn Länder weltweit mit den meisten Infektionen (24.622 pro Million Einwohner), mehr als 13.000 Todesfälle sind zu beklagen.

Die Wahlbehörde hat Schutzmaßnahmen angekündigt, um die Sicherheit bei der Abstimmung zu gewährleisten. Eine neue Welle der Ausbreitung des Coronavirus kurz vor dem Referendum ist nicht auszuschließen, trotzdem werden von staatlicher Seite keine Möglichkeiten geschaffen, damit infizierte oder erkrankte Wahlberechtigte ihr Stimmrecht ausüben können. In Chile gibt es keine Brief- oder elektronische Wahl, die Abstimmung findet nur vor Ort statt.

Unterdessen sind diejenigen, die sich für eine neue Verfassung einsetzen, mit massiver Repression konfrontiert. So wurde zuletzt am 2. Oktober bei Protesten gegen die Regierung von Sebastián Piñera und für die Verfassungsreform in der Hauptstadt Santiago ein 16-jähriger von einem Carabinero von einer Brücke in den Fluss gestoßen und schwer verletzt liegengelassen.

Aktuell sind immer noch 2.500 Menschen in Haft, die seit dem Beginn des Aufstands am 18. Oktober 2019 festgenommen wurden. Am 5. Oktober fanden landesweit Großdemonstrationen gegen die staatliche Repression und für die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen statt.