La Paz. Acht Stunden nach der Ankündigung von Neuwahlen ist Evo Morales als Staatspräsident von Bolivien zurückgetreten. Der Präsident erklärte seinen Rücktritt, nachdem immer mehr Gouverneure, Bürgermeister, Abgeordnete und Senatoren seiner Partei im ganzen Land ihre Posten niedergelegt hatten. Kurz zuvor hatte das Militär Morales zum Rücktritt aufgefordert. Der Oppositionspolitiker Luis Camacho forderte außerdem, dass nun eine Regierungsjunta gebildet werden müsse.
Morales begründete seine Entscheidung, "damit [die Anführer der Opposition Carlos] Mesa und Camacho nicht weiter die Häuser unseres Volkes niederbrennen, damit sie nicht weiterhin den einfachen Menschen schaden. Ich trete zurück, damit unsere Brüder in politischen Posten nicht weiter verfolgt werden. Ich bedaure diesen Putsch sehr. Ich möchte euch sagen, Brüder und Schwestern, der Kampf endet hier nicht. Wir werden diesen Kampf für Gleichberechtigung in Frieden fortsetzen".
Vorausgegangen war am Sonntag die Veröffentlichung eines vorläufigen Berichts der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), in dem von möglichen "Unregelmäßigkeiten" bei den Wahlen die Rede ist. Daraufhin hatte Morales den Weg frei gemacht für Neuwahlen. In den Tagen zuvor war es zu Handlungen von Opposition, Militär und Polizei gekommen, die einem Putschversuch gleichkamen.
Am Sonntag hatte die OAS früher als erwartet und wohl auf Druck ihres Generalsekretärs, Luis Almagro, einen vorläufigen Bericht herausgegeben, in dem die Annullierung der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober und die Abhaltung von Neuwahlen empfohlen wird. Der detaillierte Bericht mit konkreten Ergebnissen werde "natürlich in Bälde noch veröffentlicht". Jedoch gäbe es insbesondere nach Überprüfung der Übertragung der Wahlergebnisse durch das elektronische Übertragungssystem (TREP) "nicht die Garantie, dass die ermittelten offiziellen Ergebnisse richtig sind". Es sei zu Unregelmäßigkeiten gekommen, die die Integrität der Ergebnisse infrage stellten. Es sei festgestellt worden, dass man sich nicht an alle Sicherheitsbestimmungen bei der Auswertung und Ermittlung der Ergebnisse gehalten habe. Man könne "nicht garantieren", dass die Wahl nicht manipuliert worden sei. Jedoch räumte die OAS ein, dass die Analyse in sehr kurzer Zeit erarbeitet wurde und somit keine vollständige Überprüfung möglich war.
Auch wenn der Bericht demnach keine Beweise für einen Wahlbetrug vorlegt und es zwar "statistische Prognosen" gäbe, "deren Berücksichtigung es möglich machen", dass Morales die Wahl gegenüber seinem Herausforderer Carlos Mesa gewonnen hat, sei es jedoch "statistisch unwahrscheinlich, dass Morales eine zehnprozentige Differenz erreicht hat, um eine zweite Runde zu vermeiden". Aus diesem Grund "empfiehlt" die OAS Neuwahlen.
Kurz nach Veröffentlichung des Berichts erklärte Morales dann auf einer Pressekonferenz: "Ich habe beschlossen, neue landesweite Wahlen einzuberufen, damit dem bolivianischen Volk durch eine demokratische Abstimmung ermöglicht wird, seine neue Regierung zu wählen, unter Einbeziehung neuer politischer Akteure". Damit reagierte Morales auch auf die seit zwei Wochen andauernden, teils gewalttätigen Proteste der Opposition. Bolivien habe in den letzten Tagen Momente des Konflikts durchlebt "mit der Gefahr schwerer Konfrontationen zwischen Bolivianern". Seine Hauptaufgabe als Präsident bestehe darin, "Leben zu schützen sowie Frieden, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität und die Einheit der Bolivianer zu bewahren".
Einer der Anführer der Opposition, der Vorsitzende des "Bügerkomitees" von Santa Cruz, Luis Fernando Camacho, forderte Morales auf, umgehend zurückzutreten und eine Übergangsregierung einzusetzen. Außerdem dankte Camacho Polizei und Militär, die Forderungen nach Neuwahlen unterstützt zu haben. Man habe die Schlacht gewonnen und gezeigt, dass der Kampf berechtigt gewesen sei.
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Zuvor hatte es vermehrt Berichte gegeben, wonach sich staatliche Sicherheitskräfte gegen die Regierung gewandt hätten. Noch am Samstag war mit Spannung eine Stellungnahme des Militärs erwartet worden, worin dessen Chefkommandant, Willams Kaliman, erklärt hatte, dass sich das Militär niemals gegen das eigene Volk stellen werde. Im Vorlauf stand noch zu befürchten, dass es auch zu einem direkten Putsch unter Beteiligung des Militärs kommen könnte.
Am Freitag und Samstag war bereits aus mehreren Städten wie La Paz, Cochabamba, Oruro, Sucre und Santa Cruz gemeldet worden, dass sich Polizisten auf die Seite oppositioneller Proteste gestellt hätten. Außerdem attackierten und besetzten Protestierende unter dem Einsatz von Gewalt staatliche Medieneinrichtungen, wie mehrere internationale Medien unabhängig berichteten. Die noch amtierende Gesundheitsministerin, Gabriela Montaño, schrieb über den Kurznachrichtendienst Twitter, Oppositionsanhänger seien in Häuser von Mitgliedern des Regierungsbündnisses MAS eingedrungen, hätten Gewalt gegen Familienangehörige angewandt, Feuer gelegt und die Politiker zum Rücktritt aufgefordert.
Morales versuchte noch am Samstag, die anderen politischen Parteien zu einem Dialog zu bewegen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Dieses Angebot wurde jedoch unter anderem von den Oppositionspolitikern Mesa, Oscar Ortiz und Camacho zurückgewiesen.
Daraufhin warnten mehrere internationale Beobachter vor einem möglichen Staatsstreich. Der ehemalige Präsident von Kolumbien, Ernesto Samper, rief das bolivianische Volk dazu auf, sich nicht an einem Putsch zu beteiligen, um nicht in Zeiten der Militärdiktatur zurückzufallen. Der frühere Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, verurteilte die gewalttätigen Ausschreitungen "einer Minderheit" und rief zur Akzeptierung der Wahlergebnisse auf.
Am Rande des Treffens der Puebla-Gruppe, das am Wochenende in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires stattfand, wurde eine Stellungnahme veröffentlicht, in der zu einer Respektierung der Verfassung, dem Bewahren von Frieden und der Unterstützung des Dialogangebots von Seiten der Regierung aufgerufen wird. Unterschrieben war die Erklärung unter anderem von den ehemaligen Präsidenten Fernando Lugo (Paraguay) und Rafael Correa (Ecuador).
Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, äußerte in einer Stellungnahme noch vor dem Rücktritt von Morales, dass die Wahlergebnisse durch den Bericht der OAS "infrage" gestellt seien, und begrüßte zugleich die "positive" Reaktion der bolivianischen Regierung, rasch Neuwahlen auszurufen. "Alle politischen Parteien" müssten jetzt ihrer "demokratischen Verantwortung gerecht werden und weitere Gewalt vermeiden".