Kuba / Wirtschaft

Versorgungskrise in Kuba: Regierung will Lebensmittelproduktion ankurbeln

Corona und US-Blockade verringern Mittel für Importe massiv. Neue Formen für Produktion, Vermarktung und Verteilung von Lebensmitteln zu erwarten

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Das Verhältnis von 70 Prozent Import der Lebensmittel und 30 Prozent Produktion vor Ort ist nicht zu halten
Das Verhältnis von 70 Prozent Import der Lebensmittel und 30 Prozent Produktion vor Ort ist nicht zu halten

Havanna. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie machen sich auf Kuba inzwischen in Form von Engpässen bei der Lebensmittelversorgung bemerkbar. Der Präsident der sozialistischen Inselrepublik, Miguel Díaz-Canel, erklärte die Landwirtschaft unlängst zur Priorität der Regierung. Mit neuen Vermarktungsmöglichkeiten für Produzenten sowie dem Ausbau der urbanen Landwirtschaft soll eine weitere Zuspitzung der Situation verhindert werden.

Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie befand sich Kubas Wirtschaft in einer schwierigen Lage. Die mehrfache Verschärfung der US-Wirtschaftsblockade, zusammen mit der Krise des wichtigsten Handelspartners Venezuela, machten in den vergangenen Jahren Einschränkungen auch bei vitalen Importen erforderlich. Vergangenen Herbst legte eine Energiekrise den Transport auf der Insel für mehrere Wochen lang still.

Diese hatte auch Folgen für die Landwirtschaft. So ging die Produktion des wichtigen Grundnahrungsmittels Reis vergangenes Jahr um 18 Prozent, die Milchproduktion um 13 Prozent zurück. Bei Schweinefleisch und Eiern gab es einen Einbruch von jeweils rund acht Prozent. Wie Landwirtschaftsminister Gustavo Rodríguez Rollero ankündigte, wird dieses Jahr mit einer Reisernte von lediglich 190.000 Tonnen gerechnet, weniger als ein Drittel der Menge, die das Land verbraucht. Aufgrund des Mangels an Treibstoff und Düngemitteln habe vergangenen Winter deutlich weniger auf die Felder ausgebracht werden können als in den Jahren zuvor.

Während Kubas Wirtschaft 2019 mit einem Wachstum von 0,5 Prozent schloss, wird für dieses Jahr von einer Rezession ausgegangen. Durch das coronabedingte Ausbleiben der Tourismus-Einnahmen seit Ende März sind die Spielräume für Importe dabei weiter zurückgegangen. "Das Land ist nicht in der Lage, einen Vertrag aufrechtzuerhalten, bei dem 70 Prozent der Lebensmittel importiert und 30 Prozent vor Ort hergestellt werden", erklärte Rollero. Bisher muss Kuba jedes Jahr Lebensmittel im Wert von rund zwei Milliarden US-Dollar aus dem Ausland zukaufen.

In Havanna und anderen Provinzen macht sich die Versorgungskrise seit mehreren Wochen in Form von langen Schlangen und steigenden Schwarzmarktpreisen für Lebensmittel bemerkbar. Laut den Daten des Ökonomen Omar Everleny Pérez sind die Reispreise in Havanna zwischen März und Juni um bis zu 300 Prozent gestiegen, auch bei Bohnen, Fleisch sowie Obst und Gemüse gab es teils dreistellige Zunahmen, während das Angebot auf den Märkten immer weiter ausdünnte. Schlangen bilden sich dabei nicht mehr nur vor den Geschäften, sondern auch auf Bauernmärkten. Die Regierung versucht derzeit, mit einer Ausweitung von Rationierungsmaßnahmen die Grundversorgung sicherzustellen. Wurzel- und Knollenfrüchte sind weiterhin gut verfügbar und dienen dieser Tage häufig als Ersatz für die typischen Nahrungsmittel Reis, Fleisch und Bohnen.

Ein Ausweg aus der Krise könne nur in einer Steigerung der heimischen Lebensmittelproduktion liegen, betonten Regierungsvertreter und Ökonomen zuletzt immer häufiger. Dabei soll auch die Rolle der urbanen Landwirtschaft, welche auf Kuba ab 1991 in Folge der Krise durch die Auflösung der sozialistischen Handelspartner in Osteuropa Fuß fasste, weiter ausgedehnt werden. "Kuba kann und muss angesichts der verschärften US-Blockade und der Nahrungsmittelkrise, die Covid-19 hinterlassen wird, endgültig in sein kommunales Selbstversorgungsprogramm einsteigen", forderte der zweite Sekretär der Kommunistischen Partei (PCC), José Machado Ventura. Die Hauptstadt Havanna kann nach jüngsten Daten heute rund 18 Prozent des Obst- und Gemüsebedarfs mittels Stadtgärten produzieren.

Darüber hinaus kündigte die Regierung weitere Reformen bei der Vermarktung von Lebensmitteln an. Der staatliche Abnahmemonopolist Acopio steht aufgrund seiner Ineffizienz schon länger im Fokus der Kritik von kubanischen Agrarökonomen wie Armando Nova González. Unzureichende Logistik, verspätete Zahlungen an die Bauern und dysfunktionale Anreizsysteme zählen zu dessen größten Problemen. Gleichzeitig sei die Autonomie der Produzenten nach einer gescheiterten Agrarreform 2016 zurückgedrängt worden, was laut Nova zusammen mit den 2019 eingeführten Preisobergrenzen die Schaffung von neuen Anreizen für die Produzenten unterlaufen habe. Um dem Problem zu begegnen, will die Regierung Acopio zur Unternehmensgruppe umbilden. "Wir brauchen ein effizientes Vertragswesen, welches alle Produzenten erreicht, mehr als vorgesehen ankaufen und in den Märkten absetzen kann", erklärte Rollero die Ziele der Neuausrichtung.

Díaz-Canel mahnte dazu, in der Zwischenzeit nach "neuen Formen zur Vermarktung und Verteilung von Lebensmitteln" zu suchen, um die Monopolstellung von Acopio mittels zusätzlicher Absatzkanäle auf lokaler Ebene zu durchbrechen. "Ich habe den Eindruck, dass wir in den nächsten Monaten neue Reformen sehen werden", sagt der Ökonom Omar Everleny.