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Medizinischer Notstand in Bolivien wegen Coronavirus

Mangel an Personal, medizinischen Geräten, Tests und Schutzkleidung in den staatlichen Kliniken. Demonstrationen trotz Quarantäne wegen fehlender Überlebenshilfen der Regierung für Arme

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Auf dem Internacionalen Flughafen von El Alto, La Paz, nahm die Putschregierung am 2. April eine Hilfslieferung aus China in Empfang
Auf dem Internacionalen Flughafen von El Alto, La Paz, nahm die Putschregierung am 2. April eine Hilfslieferung aus China in Empfang

La Paz. Laut Statistiken weist Bolivien die höchste Sterblichkeitsrate ganz Lateinamerikas bei Infektionen mit dem Coronavirus auf. Der Gesundheitsminister Aníbal Cruz vermeldete das zehnte Todesopfer aufgrund der Lungenkrankheit Covid-19, landesweit gebe es 157 festgestellte positive Fälle (Stand: 4. April). Aufgrund des Personalmangels in den öffentlichen Kliniken und der mangelnden Versorgung mit medizinischen Geräten steht das Gesundheitssystem vor riesigen Herausforderungen. Hilfe kommt aus China und vom Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP).

Der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Bolivien, Alfonso Tenorio, erklärte die hohe Sterblichkeitsrate damit, dass insgesamt wenig Fälle diagnostiziert werden. Vermutlich liege die Dunkelziffer der Infizierten mit dem Coronavirus wesentlich höher, denn insgesamt würden nur wenige Personen getestet. "Zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich um fiktive Annahmen, da keine Angaben zur wirklichen Anzahl an infizierten Personen existieren", so Tenorio. Stattdessen schätzt die WHO für Bolivien, dass die Sterblichkeitsrate zwischen zwei und drei Prozent liege. Zum Vergleich: In Italien liegt sie bei über zehn Prozent, wohingegen Deutschland unterhalb der Ein-Prozent-Marke liegt.

Zuvor hatte die Interimspräsidentin der Putschregierung, Jeanine Áñez, am 25. März den gesundheitlichen Notstand für Bolivien erklärt, der bis zum 15. April gilt. Sie begründete die Maßnahme damit, dass die einige Tage zuvor ausgerufene Quarantäne "nicht eingehalten wurde und damit das Ansteckungsrisiko gestiegen ist". Der Verstoß gegen die Ausgangssperre wird mit hohen Geldstrafen geahndet. Im Zuge dessen wurden außerdem die Grenzen Boliviens geschlossen und ein verstärkter Einsatz von Polizei und Militär zur Kontrolle angekündigt.

Zur sozialen Abfederung der Ausgangssperre hatte die Interimsregierung zudem die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kleinkindern und Rentenempfängern versprochen. Für Millionen von Beschäftigten im informellen Sektor ist dies die einzige Chance, die Quarantäne zu überstehen. Die ersten Hilfszahlungen wurden allerdings erst letzten Freitag ausgezahlt, was zu langen Warteschlangen in den ärmeren Vierteln der Städte führte. Bereits Tage zuvor hatten sich Bewohner von Trinidad und Riberalta auf den Straßen zu Protesten versammelt und widersetzten sich Polizei und Militär. Sie verlangten von der Regierung die Einhaltung ihrer Versprechen. "Nun haben wir nichts zu essen, sie lassen uns nicht arbeiten und unsere Kinder bitten uns jeden Tag um ein Stück Brot", so einer der Protestteilnehmer. Kritisiert wird zudem, dass viele Arme zum Beispiel auf dem Land von den staatlichen Hilfen ausgenommen sind.

Unterdessen ist die Lage in den staatlichen Krankenhäusern besorgniserregend. "Die Internisten haben sich aus dem öffentlichen Gesundheitssystem zurückgezogen. Die Bereitschaft übernehmen heute ein festangestellter Arzt und zwei bis drei Studienabgänger der Medizin, die sich in ihrer Spezialisierung befinden. Letztere haben die größte Last zu tragen. Für sie gibt es keinerlei Schutzmaterial", so Fernando Romero von der Gewerkschaft für Mediziner des öffentlichen Gesundheitssystems. Schichten von bis zu 24 Stunden seien die Regel. Außerdem haben Fachärzte über 60 Jahre angekündigt, ihre Arbeit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Risikogruppe einzustellen. In La Paz und in Cochabamba fehlten als Folge ein Drittel der festangestellten Ärzte. Aus diesem Grund wurde die Entscheidung in einigen medizinischen Bereichen vorerst aufgeschoben, da es keine Lösung für deren Vertretung gebe.

Um die Früherkennung von Infizierten zu verbessern, hat das UNDP letzten Donnerstag der bolivianischen Regierung 13 Labore im Wert von einer halben Million US-Dollar bereitgestellt. Damit können Schnelltestverfahren im ganzen Land durchgeführt werden. In Zukunft sei damit auch die Diagnose von Tuberkulose, HIV und anderen Infektionen möglich. Hilfe kommt auch aus China. Laut dem Gesundheitsministerium habe China dringend benötigte medizinische Hilfsmittel gespendet, darunter Mundschutzmasken, Schnelltests und Beatmungsgeräte.

Der ehemalige bolivianische Präsident Evo Morales hatte sich bereits vor Tagen aus dem argentinischen Exil gemeldet und die De-facto-Regierung von Áñez aufgefordert, Flugzeuge nach China und Kuba zu senden, um Medikamente und medizinisches Gerät zu erwerben.