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Debatte über Entkriminalisierung der Abtreibung erreicht nun auch Kolumbien

Verfassungsgericht prüft Lockerung der Bestimmungen. Präsident Duque wie auch Vorgänger Uribe entschieden gegen Legalisierung. Proteste in mehreren Städten

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Graffiti "Despenalización del aborto ya"
"Entkriminalisierung der Abtreibung": Ein Graffiti in den Straßen Bogotás visualisiert die Debatte

Bogotá. Ein von Verfassungsrichter Alejandro Linares eingereichter Urteilsentwurf zur endgültigen Entkriminalisierung der Abtreibung hat in Kolumbien in der vergangenen Woche eine breite Debatte und Proteste über die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs entfacht. Befürworter und Gegner, zu denen auch der amtierende Präsident Iván Duque zählt, äußerten sich öffentlich, während in mehreren Städten Demonstrationen stattfanden. Nachdem auch in Argentinien zuletzt die Debatte mitsamt großer Proteste und Plänen der Legalisierung wieder entfacht wurde, könnte nun auch in Kolumbien die Zeit gekommen sein.

Ein spezieller Fall brachte vergangene Woche den Stein ins Rollen. Eine Frau aus Popayan entschied sich im siebten Monat ihrer Schwangerschaft für eine Abtreibung. Sie soll nachgewiesenermaßen unter psychischen Problemen leiden und somit nicht bereit sein, Mutter zu werden. Sie wurde von ihrem Ex-Freund wegen der Abtreibung und dem Vorwurf des Mordes verklagt. Er protestierte vor dem Krankenhaus, in dem seine Ex-Freundin lag und startete eine Kampagne in den sozialen Medien.

Derzeit ist in Kolumbien eine Abtreibung laut eines Urteils von 2006 (C-355 von 2006) nur unter drei Gründen legal: Erstens, wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Frau darstellt; zweitens wenn eine Missbildung des Fötus vorliegt; drittens, wenn die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung oder von Inzest ist.

Linares Vorschlag sieht nun vor, Abtreibungen bis zur 16. Schwangerschaftswoche vollständig zu legalisieren, bis zur 16. Woche müsste also keiner der drei Gründe für die Durchführung einer Abtreibung vorliegen. Für einen Schwangerschaftsabbruch zu einem späteren Zeitpunkt sollen auch weiterhin die Gründe beibehalten werden, die das Verfassungsgericht selbst festgelegt hat. Nun muss das Verfassungsgericht die Umsetzung überprüfen und über den Entwurf abstimmen.

Verfassungsrichter Linare gehört zum liberalen Flügel des Verfassungsgerichts und ist für seine Haltung zu Gunsten der individuellen Freiheiten bekannt. Er war damals der erste, der die Abtreibung aus einem der drei Gründen ohne zeitliche Begrenzung anerkannte. Mit dem Entwurf reagiert er nun unter anderem auf zwei verfassungsrechtliche Forderungen der Anwältin Natalia Bernal Cano. Sie verfolgt das Ziel, die Rechte von Kindern schon vor der Geburt anzuerkennen, und ist der Ansicht, dass die derzeitigen Regelungen die Rechte auf Leben, Würde und physische sowie psychische Integrität derer, die kurz vor der Geburt stehen, außer Kraft setzen.

Weite Teile der Gesellschaft ergreifen nun in der Diskussion das Wort. Präsident Iván Duque reagierte mit Ablehnung. Er sei selbst gläubig und bekannte sich zu "Pro-Leben" (provida). Er fügte außerdem hinzu: "Ich glaube an meine persönliche Meinung und habe nicht die Absicht, damit die Unabhängigkeit irgendeiner Institution zu untergraben. Aber ich glaube, dass der Ausstieg aus diesen drei Ursachen, die klar sind, eine sehr starke Veränderung für die kolumbianische Gesellschaft ist." Auch Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez sprach sich gegen den Entwurf aus. Er schrieb auf Twitter: "Wir müssen uns auf ein Referendum gegen die Lässigkeit beim Thema Abtreibung vorbereiten, wo bleibt der Respekt vor dem Leben!" Für die Umsetzung eines Referendums müssten Unterschriften von mindestens fünf Prozent der Wahlberechtigten gesammelt und der Gesetzesentwurf anschließend dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt werden.

Befürwortet wird den Vorschlag zur Entkriminalisierung unter anderem von der neugewählten Bürgermeisterin von Bogotá, Claudia López, und von Ana Cristina González, Mitglied des Runden Tisches für Leben und Gesundheit von Frauen. Sie sagte: "Mehr als die Hälfte der Schwangerschaften in Kolumbien sind ungewollt. [...] Frauen haben immer abgetrieben und werden dies auch weiterhin tun, egal wie restriktiv die Gesetze sind, die dies verbieten."

Generell ist in der Gesellschaft keine eindeutige Tendenz auszumachen. Während insbesondere feministische Bewegungen für eine vollständige Entkriminalisierung sind, protestierten am vergangenen Mittwoch Bürger "Pro-Leben" in Bogotá gegen den Vorschlag. Obwohl es nicht das erste Mal ist, dass man in Kolumbien versucht, die Abtreibung zu entkriminalisieren, scheint es zum ersten Mal eine echte Möglichkeit zu geben, dies zu erreichen. Die Debatte, welche sich in der Vergangenheit auf ein Gerangel zwischen Kirchenführern und Feministinnen beschränkte, hat eine noch nie dagewesene nationale Dimension angenommen. Entscheiden wird darüber in den kommenden Tagen jedoch allein das Verfassungsgericht.