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Kolumbien: Ex-Senatorin enthüllt Korruption bei Wahlen von Santos und Duque

Whistleblowerin in Caracas verhaftet. Milliarden sollen für Duques Wahl geflossen sein, Odebrecht habe Kampagne von Ex-Präsident mitfinanziert

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Aída Merlano soll Zeugin von Korruptiondeals gewesen sein. Sie ist nach Venezuela geflohen
Aída Merlano soll Zeugin von Korruptiondeals gewesen sein. Sie ist nach Venezuela geflohen

Bogotá/Caracas. Die nach Venezuela geflüchtete kolumbianische Ex-Senatorin Aída Merlano hat Details eines mutmaßlichen Korruptionsgeflechts enthüllt. Es soll dem amtierenden Präsidenten Iván Duque und Ex-Präsident Juan Manuel Santos (2010-2018) zum Wahlsieg verholfen haben.

Merlano beschuldigte die mächtigen kolumbianischen Politiker-Familien Char und Gerlein, an der Karibikküste mehr als sechs Milliarden Pesos (circa 1,6 Millionen Euro) in den Stimmenkauf für Duque investiert zu haben. Ebenso sollen sie in Kooperation mit dem brasilianischen Baukonzern Odebrecht 15 Milliarden Pesos (rund vier Millionen Euro) für die Wiederwahlkampagne von Santos gezahlt haben. Die Informationen hat Merlano in Caracas bei einem Interview mit der kolumbianischen rechtskonservativen Starjournalistin Vicky Dávila für das Online-Politmagazin Semana gegeben.

Die Gerleins und Chars gehören seit über 100 Jahren zu den mächtigsten Familien der Karibikküste. Mit dem jüngsten Sohn Alejandro, dem Ex-Bürgermeister der nördlichen Großstadt Barranquilla, streben die Chars an, den nächsten Präsidenten Kolumbiens zu stellen. Ein weiterer Sohn, Arturo, soll Senatspräsident werden. Den Chars gehört in der Region ein Wirtschaftsimperium. Ähnlich ist es bei den Gerleins. Roberto Gerlein war über 40 Jahre lang pausenlos Senator oder Minister. Sein Bruder Julio und dessen Kinder leiten das Bauunternehmen Valorcon, ein wichtiger Auftragnehmer von Bauaufträgen der öffentlichen Hand.

Merlano selbst war über zwei Jahrzehnte Vertraute der beiden Familien. Sie ist mit deren Unterstützung in den Senat gewählt, aber kurz danach wegen Wahlkorruption verhaftet worden. Laut der Ex-Politikerin habe die Familie Char bei mehreren Vertragsunternehmern der Stadt Barranquilla Geld für Duques Stichwahl gesammelt. Sechs Milliarden Pesos sei hierbei der Beitrag von Gerlein gewesen. Außerdem hätten beide Familien lokale Politiker, die ihnen etwas schuldeten, für den Kauf von Stimmen für Duque eingesetzt. Dieser soll davon gewusst haben.

Die Familie Gerlein soll zudem in Zusammenarbeit mit dem Skandalkonzern Odebrecht 15 Milliarden Pesos in die Wiederwahlkampagne von Santos für die Periode 2014 bis 2018 investiert haben. Als Gegenleistung habe die Regierung Santos Navelena – ein Konsortium von Odebrecht und Valorcon – mit einem Megabauprojekt zur Schiffbarkeit einer Strecke des Flusses Magdalena beauftragt. Das Geld hätten die Gerleins und Chars dem Santos-Verbündeten Germán Vargas Lleras in bar zukommen lassen. Vargas war von 2014 bis 2017 Vize-Präsident von Santos.

Merlano sagte weiter, dass die Char-Familie die Staatsanwaltschaft durch den umstrittenen Oberstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez (2016-2019) unter Kontrolle hatte. Das sei der Grund, warum keine Ermittlungen gegen die Chars oder Gerleins vorangekommen seien. Oppositionelle hatten tatsächlich immer wieder Martínez als korrupt kritisiert und als rechte Hand von Vargas gesehen. Martínez war außerdem Rechtsberater von Luis Carlos Sarmiento Angulo gewesen, dem reichsten Bankier Kolumbiens und Partner von Odebrecht bei Straßenbauprojekten. Merlano versichert, Beweise für alle ihre Aussagen zu haben.

Nach knapp anderthalb Jahren Untersuchungshaft war Merlano im September wegen Stimmenkaufs zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Kurz danach ist sie bei einer Arztausführung geflohen. Ende Januar hat die venezolanische Polizei sie unter einer falschen Identität in Maracaibo aufgefunden und wegen Missbrauchs von Ausweispapieren verhaftet. Sie sitzt aktuell im Geheimdienstgefängnis Helicoide in Caracas in Untersuchungshaft. Sie sagte, sie fühle sich seit ihrer Ankunft in Venezuela sicher .

Bei einer Anhörung im Justizpalast in Caracas erklärte sie, ihre Flucht sei von den Chars und Gerleins arrangiert worden, doch nicht um sie zu befreien, sondern um sie zu töten. Nach der Fluchtaktion sei sie von unbekannten Männern in die nördliche Stadt Valledupar gefahren worden, wo sie eingesperrt und vergewaltigt worden sei. In dem Interview mit Dávila erzählte Merlano, wie es ihr möglich war, aus ihrer neuen Gefangenschaft zu fliehen und nach Venezuela zu gelangen.

Bereits im Gefängnis habe Julio Gerlein, mit dem Merlano viele Jahre lang eine Affäre gehabt hatte, sie ermahnt, weder die Chars noch die Gerleins zu kompromittieren. Da vieles in ihrem Strafprozess nicht mit rechten Dingen zugegangen sei, beantragte die Ex-Senatorin eine Anhörung, um alles, was sie wisse, zu offenbaren. Die Justiz wollte sie aber nicht anhören, klagt sie heute.

Duque nennt Merlano "eine Korrupte und Verbrecherin". Er hat ihre Auslieferung beim selbsternannten "Interimspräsidenten" Juan Guaidó beantragt, der jedoch über keine institutionelle Autorität auf venezolanischem Territorium verfügt. Kolumbiens Oberstaatsanwalt Francisco Barbosa lehnt es ab, Ermittlungen gegen die Gerleins oder Chars anhand von Merlanos Aussagen einzuleiten. Dafür müsse sie im Land sein und Beweise liefern. Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof eine Voruntersuchung gegen Arturo Char wegen Fluchthilfe gestartet.

Der linke Widersacher Duques bei der vergangenen Präsidentschaftsstichwahl, Gustavo Petro, rief seine Wähler dazu auf, aus Protest auf die Straßen zu gehen: Sollte es Wahlmanipulation gegeben haben, wie Merlano sagt, würde es bedeuten, dass Duques' Regierung illegitim sei.