Venezuela: Statistik zur Kriminalität listet auch Polizeigewalt auf

Generalstaatsanwalt legt Bilanz vor. Schwerpunkte sind Korruption und Polizeigewalt. Kampagne von Menschenrechtlern gegen "Hinrichtungen im Barrio"

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Venezuelas Generalstaatsanwalt Tarek William Saab bilanzierte die Arbeit seiner Behörde seit August 2017
Venezuelas Generalstaatsanwalt Tarek William Saab bilanzierte die Arbeit seiner Behörde seit August 2017

Caracas. Der Generalstaatsanwalt von Venezuela, Tarek William Saab, hat eine Bilanz der Arbeit seiner Behörde seit seinem Amtsantritt im August 2017 vorgestellt. Dabei rückte Saab im Rahmen einer Pressekonferenz anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Behörde die Bekämpfung von Korruption und Menschenrechtsverletzungen in den Vordergrund. Demnach hat die Generalstaatsanwaltschaft in dem genannten Zeitraum 21 Korruptionsnetzwerke in der Ölindustrie aufgedeckt. Gegen 103 Mitarbeiter des staatlichen Ölkonzerns PDVSA und seiner Tochtergesellschaften, unter ihnen 28 führende Manager, werde in diesem Zusammenhang ermittelt. Mehr als 100 Beamte und etwa weitere 150 Personen würden wegen Korruptionsvorwürfen aktuell gerichtlich verfolgt.

Der oberste Strafverfolger verwies des Weiteren auf den Stand des Kampfs gegen die Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Kräfte. Gegenwärtig würden 505 Strafverfolgungsbeamte Verbrechen dieser Art beschuldigt. Für die Ermittlungen seien 390 in Haft genommen worden. Für den Gesamtzeitraum bilanzierte Saab 766 Anklagen gegen Beamte wegen Verbrechen wie Mord, Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung sowie wegen unrechtmäßiger Freiheitsberaubung und Eindringens in Wohnungen. In diesen Verfahren seien bisher 127 Urteile ergangen. Saab versicherte, der venezolanische Staat würde diesem Thema eine Vorrangstellung beimessen.

Auch in Fälle von Erpressung und Entführung seien staatliche Kräfte involviert. Der Strafverfolger wies darauf hin, dass deshalb gegen 559 Polizei- oder Militärangehörige ermittelt werde. Von diesen seien 372 in Haft genommen worden. In seinem Bericht legte Saab des Weiteren Zahlen zu Gewalt gegen Frauen und zur Drogenkriminalität vor. Bei Einsätzen gegen den Drogenhandel seien in seiner Amtszeit 76 Tonnen Rauschgift sichergestellt worden, darunter mehr als 51 Tonnen Kokain. Die zuständigen öffentlichen Einrichtungen hätten 101.249 Fälle von Opfern von Gewalt gegen Frauen bearbeitet. Davon seien 27.455 Fälle als Freiheitsberaubung behandelt und 9.427 Täter bereits vor Gericht gestellt worden. In 381 Fällen, so Saab, sei die Generalstaatsanwaltschaft dem Verdacht auf Femizid nachgegangen, 150 Verurteilungen wurden erwirkt. Das Bestreben seiner Behörde sei es, "die Straffreiheit in solchen Fällen zu verringern".

Mit einem ausdrücklich "chavistischen Selbstverständnis" versucht das Kollektiv Surgentes unterdessen, die Polizeigewalt in Armenvierteln öffentlich zum Thema zu machen. "Keine weiteren Exekutionen im Barrio ‒ Nicht im Namen von Chávez" ist der Titel ihrer Kampagne. Verankert ist die Gruppe im Viertel San Agustín del Sur in der Hauptstadt Caracas. Die Menschenrechtsaktivisten verweisen unter anderem auf Angaben des Innenministeriums. Danach ist die Zahl der durch staatliche Sicherheitskräfte begangenen Tötungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen – vor allem in den armen Stadtgebieten. Bei tödlichen Polizeieinsätzen zu gewöhnlichen Straftaten werden immer wieder Vorwürfe laut, dass Rechtfertigungen mit "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" nur vorgeschoben sind.

Zwei Mitglieder von Surgentes erklärten gegenüber dem venezolanischen Fernsehsender Tatuy-TV, dass die Kampagne "mit einer quantitativen und qualitativen Untersuchung von polizeilicher Gewalt und den dabei auftretenden Mustern" begann. Dabei habe man festgestellt, dass es sich bei den Opfern fast ausschließlich um junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren aus den ärmeren Schichten handele. Viele dieser Jugendlichen seien in kriminelle Aktivitäten verwickelt gewesen. Sie hätten bereits im Gefängnis eingesessen oder waren auf Bewährung in Freiheit. Meist drehte es sich um minder schwere Fälle von  Drogenschieberei, Erpressung oder Diebstahl. Zu der Schwierigkeit, den eingeübten Vertuschungspraktiken staatlicher Ordnungskräfte nach Übergriffen etwas entgegenzusetzen, komme die der "hohen sozialen Akzeptanz" für Polizeieinsätze der "harten Hand" in der Bevölkerung, betonten die Aktivisten.