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Bolivien: Kuba zieht Personal ab, unabhängige Berichte sehen keinen Wahlbetrug

De-facto-Regierung bricht Beziehungen zu Venezuela ab. Untersuchungen ergeben marginale Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen. Weiteres Vorgehen der MAS unklar

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Seit der Selbsternennung von Añez riegeln immer mehr Polizisten den  Plaza Murillo ab, wo sich auch der Regierungssitz und das Parlament befinden
Seit der Selbsternennung von Añez riegeln immer mehr Polizisten den Plaza Murillo ab, wo sich auch der Regierungssitz und das Parlament befinden

Havanna/La Paz. Kubas Außenminister Bruno Rodríguez hat am Freitag über den sofortigen Rückzug des medizinischen Personals aus Bolivien informiert und die Freilassung von vier in El Alto verhafteten Medizinern gefordert. Sie werden von Politikern und Polizeivertretern öffentlich beschuldigt, die Proteste gegen den Putsch gegen Evo Morales zu befördern. In sozialen Netzwerken werde zudem Gewalt gegen Mitarbeiter der kubanischen Medizinbrigade propagiert, heißt es in einem Kommuniqué aus Havanna. Kubas Regierung fordert die bolivianischen Behörden auf, "die unverantwortlichen anti-kubanischen Äußerungen von Hass, Verleumdung und Anstiftung zur Gewalt gegen kubanische Helfer, die solidarisch zur Gesundheit dieses bolivianischen Volkes beigetragen haben, einzustellen".

Die von der selbsternannten Interimspräsidentin Jeanine Añez als Außenministerin eingesetzte Karen Longaric hatte am Tag ihrer Amtsübernahme erklärt, dass 725 kubanische Staatsangehörige, die im Rahmen von Kooperationsprogrammen vor allem im medizinischen Bereich in Bolivien tätig sind, das Land verlassen müssen. Die Beziehungen zu Kuba und Venezuela würden "neu ausgerichtet", so Longaric. Dazu gehörte die umgehende Anerkennung des venezolanischen Oppositionsführers Juan Gauidó als "legitimer Präsident". Dem folgte nun der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Venezuela und die Ausweisung des gesamten Botschaftspersonals. Auch sind alle Mitglieder des bolivianischen diplomatischen Korps in Venezuela entlassen worden sowie insgesamt 80 Prozent der von der Regierung Morales ernannten Mitarbeiter im auswärtigen Dienst. Longaric erklärte zudem den Austritt aus der Bolivarischen Allianz Alba, an der Venezuela, Kuba, Nicaragua und weitere linksgerichtete Länder der Region beteiligt sind.

Añez hat sich indes bei den Regierungen Deutschlands und der USA dafür bedankt, dass sie ihre Amtsübernahme begrüßt haben. In Mitteilungen über den Kurznachrichtendienst Twitter hatten die Außenminister Heiko Maas und Mike Pompeo sich entsprechend geäußert. Pompeo schrieb, Áñez habe die Rolle der Interimspräsidentin in einer Zeit "großer Verantwortung übernommen, in der es notwendig ist, die Ordnung wiederherzustellen und die zivile Führung in Bolivien aufrechtzuerhalten".

Während die De-facto-Regierung von Añez ihre ersten Amtshandlungen vollzieht, steht der endgültige Bericht der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) immer noch aus, der Beweise für den im Raum stehenden und von Opposition wie zahlreichen internationalen Medien und Politikern durchweg bereits so bezeichneten Wahlbetrug in Bolivien liefern könnte.

Die OAS hatte am vergangenen Sonntag einen vorläufigen Bericht vorgelegt. Darin werden "Hinweise auf Unregelmäßigkeiten" benannt, die es insbesondere bei der Übermittlung durch ein Softwareprogramm für die Erstellung der Schnellauszählungsergebnisse gegeben haben soll. Jedoch konnten diese nur bei 78 Ergebnisprotokollen feststgestellt werden, das entspricht 0,22 Prozent aller Protokolle.

Nun liegen  zwei Studien von unabhängiger Seite vor. Beide kommen zu dem Schluss, dass die festgestellten Unregelmäßigkeiten marginal waren und das grundsätzliche Ergebnis, wonach Evo Morales mit Abstand die meisten Stimmen erhalten hat, nicht beeinflussen.

Die erste der beiden Untersuchungen wurde von Walter Mebane verfasst, einem Politikwissenschaftler der University of Michigan, der als einer der weltweit führenden Experten für Wahlbetrug und politisch als nicht zugunsten von Morales eingestellt gilt. Unter dem Titel "Beweise gegen einen entscheidenen Einfluss manipulierter Stimmen bei den Wahlen in Bolivien 2019" stellt die Untersuchung fest, dass es statistische Unregelmäßigkeiten gegeben hat, die auf Betrug in nur 274 der 34.551 Wahllokale hinweisen. Zudem würden sich diese nicht wesentlich von den Mustern unterscheiden, die bei anderen Wahlen wie in Honduras, der Türkei, Russland, Österreich und Wisconsin beobachtet wurden. "Selbst wenn man die manipulierten Stimmen herausrechnet, hat die MAS einen Vorsprung von mehr als zehn Prozent", schließt dieses Papier.

Der zweite Bericht stammt vom Center for Economic and Policy Research (CEPR), einer Denkfabrik für Wirtschafts- und Sozialpolitik mit Sitz in Washington. Er untersucht die Wahlbeobachtungsmission der OAS in Bolivien und weist darauf hin, dass "die Ergebnisse der vorläufigen Nachzählung mit dem Endergebnis übereinstimmen". Zudem "konnte weder die OAS noch jemand anderes nachweisen, dass es bei den Wahlen systematische oder weit verbreitete Unregelmäßigkeiten gab". Keine der beiden Nachzählungen weise seltsame Muster im Vergleich zur Verteilung der Stimmen bei früheren Wahlen auf. Die vorläufige Auszählung sei bei 80 Prozent gestoppt worden, weil dies vereinbart war, und wurde einen Tag später auf Antrag der OAS wieder aufgenommen. Die endgültige und rechtsgültige Nachzählung habe dagegen "keine wesentlichen Unterbrechungen“ gehabt, so der Bericht.

Unterdessen kursieren in den Medien Gerüchte über Verhandlungen zwischen Vertretern der De-facto-Regierung und der Bewegung zum Sozialismus (MAS) über eine Zusammenarbeit bei der Vorbereitung von Neuwahlen. Der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Jean Arnault, soll dabei vermitteln.

Die MAS hatte mit ihrer 2/3-Mehrheit im Parlament gestern die neue Vorsitzende des Senats und der Abgeordnetenkammer gewählt. Die mit den notwendigen Stimmen als neue Senatspräsidentin eingesetzte Mónica Eva Copa wäre, wenn das Parlament das Rücktrittssgesuch von Morales annimmt, seine laut Verfassung legitime Nachfolgerin bis zu den Neuwahlen, die innerhalb von 90 Tagen durchgeführt werden müssten. Copa träte damit an die Stelle von Añez und die bisherigen Minister der MAS-Regierung könnten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Wie es nach den Wahlen von gestern weitergehen wird, ist unklar, Stellungnahmen der Parlamentsvorsitzenden oder anderer MAS-Politiker gibt es nicht.

Der von Añez zum Präsidialamtsminister ernannte Jerjes Justiniano sagte gegenüber Medienvertretern, es gebe Gespräche und die MAS-Delegierten stellten drei Bedingungen "für einen Ausweg": Ein Gesetz, das die strafrechtliche Verfolgung ihrer Mitglieder untersagt, freies Geleit für ihre Anführer und die Rückkehr von Morales nach Bolivien.

Seitens der MAS gibt es hierfür bislang keine Bestätigung.