Brasilien: Präsident Bolsonaro in Mord an Marielle Franco verwickelt?

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Die 2018 ermordete linke Politikerin und Aktivistin Marielle Franco im August 2016.
Die 2018 ermordete linke Politikerin und Aktivistin Marielle Franco im August 2016.

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Die ermordete linke Stadträtin Marielle Franco, der wegen Mordverdachts verhaftete Ex-Polizist und Milizionär Adriano Magalhães da Nóbrega (Mitte) und Immobilienhai, Präsidentensohn und Senator Flávio Bolsonaro
Die ermordete linke Stadträtin Marielle Franco, der wegen Mordverdachts verhaftete Ex-Polizist und Milizionär Adriano Magalhães da Nóbrega (Mitte) und Immobilienhai, Präsidentensohn und Senator Flávio Bolsonaro

Rio de Janeiro. Ein Leak erschüttert Brasilien und setzt Präsident Jair Bolsonaro unter Druck. Am Dienstagabend berichtete das Nachrichtenmagazin Jornal Nacional des TV-Senders Globo über die Zeugenaussage eines Pförtners von Bolsonaros Wohnanlage. Demnach hatte dieser der Polizei mitgeteilt, dass der mordverdächtige Ex-Polizist Élcio Queiroz wenige Stunden vor dem tödlichen Hinterhalt auf die linke Stadträtin Marielle Franco und ihren Fahrer Anderson Gomes am 14. März 2018 auf dem Weg zum Haus von Bolsonaro war. Queiroz wird bezichtigt, den Wagen des Mordkommandos gefahren zu haben, und sitzt in U-Haft.

Queiroz soll beim Einlass zur Wohnanlage angegeben haben, dass er zum Haus von Bolsonaro wolle. Entsprechend kontaktierte der Pförtner per Gegensprechanlage das Haus Bolsonaros und jemand mit der Stimme des "Senhor Jair" autorisierte die Einfahrt von Queiroz. Anstatt aber zum Haus Bolsonaros zu fahren, habe Queiroz den mutmaßlichen Todesschützen von Franco, den Ex-Polizisten Ronaldo Lessa, abgeholt. Lessa wohnte nur ein paar Häuser neben Bolsonaro.

Laut der Reportage beobachtete der Pförtner über die Überwachungskameras, dass der Wagen anstatt zu Bolsonaro zum Haus des vermutlichen Todesschützen Lessa fuhr. Um "Senhor Jair" darüber zu informieren, dass der Gast woanders hinfuhr, rief er wieder bei Bolsonaro an. Laut Aussage gab dieselbe Stimme dem Pförtner das OK für Élcio Queiroz. Kurz darauf verließen Queiroz und Lessa zusammen die Wohnanlage. Am gleichen Abend sollen sie Franco und ihren Fahrer erschossen haben.

Zwar scheint das Telefonprotokoll der Einlasskontrolle zu bestätigen, dass es den Anruf beim Haus des späteren Präsidenten gab. Auch der Vorname des Verdächtigen sowie das Kennzeichen des Wagens wurden notiert. Doch Bolsonaro, damals Abgeordneter, befand sich zu der Zeit in Brasília. Anwesenheitsprotokolle des Parlaments bestätigen das. Er streitet jede Verbindung mit dem Verbrechen ab.

Bolsonaro wittert nun ein Komplott. In einem 23-minütigen Live-Video auf Facebook beschimpfte er Globo und drohte, die Zulassung des Senders nach Ablauf im Jahr 2022 nicht zu erneuern: "Ihr Halunken vom TV-Globo! Jetzt Marielle Franco, die wollt Ihr mir anhängen? Ihr Lumpen! Damit kommt ihr nicht durch! Ich hatte kein Motiv, egal wen in Rio de Janeiro umzubringen", zeigte sich das Staatoberhaut erzürnt. "Eure Zulassung läuft 2022 aus. Wenn der Antrag nicht ordentlich ist, gibt es keine Erneuerung", schrie er im Live-Stream.

Zudem unterstellte er, der Pförtner habe versehentlich eine Falschaussage gemacht. "Ich bin mir sicher, dass der Pförtner nicht weiß, was er da unterschrieben hat. Entweder hat er sich geirrt, oder nicht gegengelesen und unterschrieben, was der Kriminalpolizist ihm vorgelegt hatte. Er ist eine einfache Person", so Bolsonaro.

Der Präsident kündigte an, er werde Justizminister Sérgio Moro anweisen, den Pförtner durch die Bundespolizei vernehmen zu lassen. Tatsächlich hat Moro mittlerweile Generalstaatsanwalt Augusto Aras beauftragt, die Umstände der Zeugenaussage zu untersuchen. Laut Moro könnte der Präsident Opfer einer Falschaussage oder Verleumdung sein. Die Ermittlungen könnten bewusst fehlerhaft geführt worden sein. Der jüngst von Bolsonaro eingesetzte Aras gab inzwischen bekannt, dass es sich um Falschinformationen handle. Er werde die Umstände untersuchen, in denen ein Pförtner den Namen des Präsidenten in einer Zeugenaussage nenne, so Aras.

Diese Einmischung in die polizeilichen Ermittlungen könnte weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Bundesstaatsanwältin Janice Ascari erklärte,  der Präsident habe nicht die Befugnis, die Polizei oder Staatsanwaltschaft zu beauftragen, ein Verfahren zur strafrechtlichen Ermittlung durchzuführen. Sollte er die Vernehmung durchsetzen, müsste er mit einem Amtsenthebungsverfahren rechnen, so der Verfassungsrechtler Pedro Serrano.

Die Frage ist nun, wer den Anruf des Pförtners im Haus von Bolsonaro entgegennahm und die Einfahrt des späteren Mordgehilfen genehmigte. Auf Twitter wurde der entsprechende Hastag #QuemEstavaNaCasa58 (#WerWarImHaus58) zu einem der weltweit meist kommentierten Themen.

Einer von Bolsonaros Söhnen, Stadtabgeordneter von Rio de Janeiro, Carlos Bolsonaro, lud in den sozialen Netzwerken die Anwesenheitsliste der Stadtratsdebatte vom Tag des Mordes an seiner ehemaligen Amtskollegin hoch, um zu belegen, dass nicht er am Gegensprecher war und Queiroz Zutritt gewährte. "Da der damalige Abgeordnete [Jair] Bolsonaro nicht zu Hause am Hörer gewesen sein kann, versuchen die Mieslinge jetzt, mich zu verwickeln. Hier meine Anwesenheit am 14.3.18."