Brasilien: Indigene Frauen demonstrieren für ihre Rechte und gegen Politik Bolsonaros

Über fünf Tage vielfältiger Protest. Gesundheit und Landfrage als zentrale Themen. Vereinigung mit Bildungsprotesten im ganzen Land

nnnm.jpg

Marschieren gegen die indigenen Politik der Regierung in der Hauptstadt Brasília
Marschieren gegen die indigenen Politik der Regierung in der Hauptstadt Brasília

Brasília. In dieser Woche hat in Brasilien zum ersten Mal der "Marcha das Mulheres Indígenas" (Marsch der Indigenen Frauen) stattgefunden. Über 2000 indigene Aktivistinnen versammelten sich sechs Tage lang in der brasilianischen Hauptstadt Brasília und demonstrierten mit verschiedenen Aktionen für ihre Rechte, die durch die Politik von Präsident Jair Bolsonaro bedroht werden.

Am Dienstag hatten sich die indigenen Aktivistinnen mit den landesweit großen Protesten gegen den Abbau im Bildungsbereich solidarisiert. Vor dem Gebäude des Nationalkongresses versammelten sich Teilnehmerinnen des "Marcha das Mulheres Indígenas" gemeinsam mit Studierenden, Lehrpersonen und anderen Protestierenden, die an der Bildungstsunami (Tsunami da Educação) genannten Demonstration teilnahmen. Nicht nur in Brasília, sondern auch in über 70 anderen brasilianischen Städten, demonstrierten am Dienstag Menschen für die Verteidigung der Bildung und gegen bereits durchgeführte und von Präsident Bolsonaro geplante Kürzungen der Mittel.

Ein Höhepunkt der fast eine Woche dauernden Versammlung indigener Aktivistinnen fand am Montag statt, als hunderte von indigenen Frauen zehn Stunden lang ein Gebäude des Gesundheitsministeriums besetzt hielten. Sie protestierten in und vor den Räumlichkeiten des Sekretariats für indigene Gesundheit (Sesai) gegen die geplante Integration in die kommunale Gesundheitsversorgung. Diese sieht vor, dass Angehörige indigener Gemeinschaften in Zukunft öffentliche Gesundheitszentren aufsuchen müssen und nicht wie bisher von speziell dafür ausgebildeten Ärzten in ihren Dörfern aufgesucht werden. Einige der Gemeinschaften leben in sehr abgeschiedenen Regionen, die mehrere Stunden oder gar Tage vom nächsten Gesundheitszentrum entfernt sind. Weiter wurde der Rücktritt von Sílvia Waiãpi gefordert. Sie war von Bolsonaro als Sekretärin für Indigene Gesundheit ernannt worden und unterstützt dessen Politik.

Bereits am Dienstagmorgen zogen circa fünfzehnhundert Aktivistinnen durch Brasília, unter ihnen Vertreterinnen von über 100 verschiedenen indigenen Völkern. Die Protestierenden wandten sich explizit gegen die von Präsident Bolsonaro vorgesehenen oder bereits durchgeführten Reformen, welche die Lebenswelt der Indigenen bedrohen. Der sich seit Anfang 2019 im Amt befindende Präsident hat nicht nur angekündigt, den Amazonas noch stärker ökonomisch ausbeuten zu lassen und Bergbau in indigenen Schutzgebieten zu erlauben, sondern auch die Indigenen in die brasilianische Gesellschaft "integrieren" zu wollen. Dies stößt auf enormen Widerstand, da eine Integration tatsächlich die Aufhebung von Sonderregelungen zum Schutz ihrer traditionellen Lebensweise bedeuten würde.

Die Veranstaltungsreihe begann am 9. August genau am Internationalen Tag der Indigenen Bevölkerung und stand unter dem Motto "Territorium: Unser Körper, unser Geist" (Território: nosso corpo, nosso espírito). Obwohl nicht alle der mehr als 300 verschiedenen indigenen Völker die gleichen Ziele und Bedürfnisse hätten, gebe es einige Fragen und Themen, die alle betreffen, sagten Organisatorinnen gegenüber der journalistischen Plattform Mídia Ninja – so etwa die Landfrage, wie Telma Taurepang erklärte, die Koordinatorin der Indigenen Frauen des Brasilianischen Amazonas (UMIAB). Diese gehe weit über das hinaus, was Nicht-Indigene darunter verstünden. Das Land sei eine Erweiterung des Körpers der Indigenen, weshalb eine Verbindung gegenseitiger Achtsamkeit und Subsistenz bestehe. Taurepang wies auch auf den spezifischen weiblichen Kontext der Veranstaltung hin: "Eines der Dinge, die uns am meisten besorgen, ist die Gesundheit der Frauen."

Die Notwendigkeit eines von Frauen organisierten Protests innerhalb der indigenen Bewegung zur Verteidigung ihrer Rechte wurde auch von Célia Xacriabá, einer der bekanntesten indigenen Aktivistinnen des Landes und Mitorganisatorin des Marsches hervorgehoben. "Wir indigenen Frauen mit unseren Körpern werden die brasilianische Gesellschaft dekolonisieren. Die Gesellschaft, die unsere Geschichte und unser Gedächtnis ausgelöscht hat", sagte Xacriabá gegenüber Mídia Ninja.

Die Veranstaltung und Demonstrationen wurde von der Dachorganisation Zusammenschluss der Indigenen Völker Brasiliens APIB (Articulação dos Povos Indígenas do Brasil) durchgeführt. Diese umfasst regionale Vereine zur Vertretung der Interessen der indigenen Bevölkerung aus allen Landesteilen Brasiliens und verfolgt das Ziel, die Kräfte und Anliegen der Indigenen zu bündeln und auf nationaler Ebene zu vertreten. Um indigenen Frauen die Reise in die Hauptstadt zu ermöglichen, sammelte das APIB im Vorfeld des Marsches Geld.

Am gestrigen Mittwoch, dem letzten Tag des "Marcha das Mulheres Indígenas", vereinten sich die Demonstrantinnen mit dem Protestmarsch "Marcha das Margaridas". Diese seit dem Jahr 2000 regelmäßig stattfindende Kundgebung von Landarbeiterinnen erinnert an die Ermordung der Gewerkschafterin Margarida Maria Alves.

Zudem kam es auch in einigen europäischen Städten, wie in London und Berlin, zu Solidaritätskundgebungen.