Bewährungsstrafen im Prozess gegen Waffenproduzent SIG Sauer

Trotz klarer Beweislage keine Haftstrafen. Deal zwischen Justiz und Angeklagten. Paramilitärs in Kolumbien nutzen deutsche Waffen

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"Mehr Waffen, mehr Sicherheit" – Expert:innen widersprechen diesem Credo
"Mehr Waffen, mehr Sicherheit" – Expert:innen widersprechen diesem Credo

Kiel/Bogotá. Am Mittwoch haben sich in Kiel Staatsanwaltschaft, Verteidiger und das Landgericht auf Bewährungsstrafen für die drei Angeklagten im Prozess wegen Waffenhandels geeinigt. Zwei ehemalige Mitarbeiter der Waffenfirma SIG Sauer mit Sitz in Eckernförde, unter ihnen der Firmenmiteigentümer Michael Lüke, erwarten laut Gericht Bewährungsstrafen in Höhe von bis zu elf Monaten. Ron Cohen, der Topmanager der Schwesterfirma SIG Sauer Inc. in den USA, wird mit einer Bewährungsstrafe von maximal einem Jahr und zehn Monaten bestraft, zudem mit einer Geldstrafe in Höhe von maximal 900.000 Euro. Zugleich erklärten die Angeklagten ihre Bereitschaft zu Geständnissen.

Der Schwere dieses Falles ungeachtet hatte sich dieser Deal bereits am Eröffnungstag des Strafverfahrens gegen die drei führenden Mitarbeiter der SIG Sauer-Gruppe abgezeichnet. Auf Vorschlag des Richters wurde die Verlesung der 99 illegalen Exportfälle frühzeitig unterbunden und der Oberstaatsanwalt handelte die Abmachung aus.

Jürgen Grässlin von der Kampagne "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!" erklärte angesichts des Urteils: "Die Beihilfe zu massenhaftem Morden durch den Export von 38.000 Pistolen in 99 Fällen ins Bürgerkriegsland Kolumbien wird seitens der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Kiel mit Bewährungsstrafen sanktioniert. Das ist ein Schlag ins Gesicht der vielzähligen Opfer von SIG Sauer-Waffen in Kolumbien." Nicht einmal die Hauptververantwortlichen für den widerrechtlichen Handel mit 38.000 Pistolen müssten nun ins Gefängnis. Vor allem befürchtet Grässlin das Ausbleiben der abschreckenden Wirkung: "Die Botschaft der Kieler Justiz lautet: Wer von illegalen Waffengeschäften in Kriegsgebiete profitiert, muss selbst bei immens hohen Liefermengen allenfalls mit Bewährungsstrafen und Geldbußen rechnen."

Die "Aktion Aufschrei" fordert die schnellstmögliche Schaffung eines Rüstungsexportkontrollgesetzes als Ersatz für das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz. Dieses solle klare rechtliche Vorgaben für ein grundsätzliches Exportverbot von Kriegswaffen festschreiben, die Haftstrafen im Falle der Beihilfe zu Mord und Massenmord bei illegalem Waffenhandel auf bis zu lebenslange Haft erhöhen.

Ein Dossier des Kinderhilfswerks terre des hommes fasst Informationen von einem kolumbianischen Journalisten zusammen. Daraus geht hervor, dass SIG Sauer-Pistolen, darunter die SP2022, in Kolumbien weite Verbreitung haben. Sie würden illegal an bewaffnete Gruppen verkauft, unter Beteiligung der kolumbianischen Polizei. Von Paramilitärs und Drogenkartellen, aber auch Armeeangehörigen werden sie für Verbrechen verwendet.

Die kolumbianische Regierung kaufte 2006 von den USA rund 125.000 SIG Sauer-Pistolen des Modells SP 2022 im Wert von 65 Millionen US-Dollar. Vermutlich über 30.000 davon wurden in Deutschland produziert und zunächst zwischen 2009 und 2012 in die USA geliefert. Dieser Export war legal, es gab eine Genehmigung mit Endverbleibserklärung für die USA. Der anschließende Weiterverkauf der Pistolen von den USA in das Konfliktland Kolumbien war hingegen illegal und ein Verstoß gegen das deutsche Außenwirtschafts- und das Kriegswaffenkontrollgesetz.

27 Prozent der Waffen der paramilitärischen Selbstverteidigungseinheiten (Autodefensas Unidas de Colombia), die diese bei ihrer Demobilisierung von 2003 bis 2006 abgaben, waren europäischen Ursprungs. Die meisten davon kamen aus Bulgarien (38 Prozent), Belgien (14,5 Prozent) und Deutschland (12 Prozent). Ein erheblicher Teil der Waffen, die aus den USA nach Kolumbien gelangen, stammen dieser Studie von terre des hommes zufolge nicht aus den USA.

Angesichts des größten illegalen Rüstungsexports von Kleinwaffen in ein Bürgerkriegsland in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wären hohe Haftstrafen zu erwarten gewesen. Die Zahl der Opfer ist auch unter der Zivilbevölkerung immens hoch. Doch wie bereits beim Strafverfahren gegen Heckler & Koch spielen die Opfer im Prozess gegen Sig-Sauer keine Rolle, krtitisiert die "Aktion Aufschrei".