Verstoßen Sanktionen gegen Venezuela gegen das Völkerrecht?

Wirtschaftssanktionen sind Einmischung in innere Angelegenheiten und potentiell völkerrechtswidrig. OAS hält sich nicht an eigene Demokratie-Charta

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Titel des Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu Venezuela
Titel des Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu Venezuela

Berlin. In einem weiteren Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages haben die Juristen die gegen Venezuela verhängten Wirtschaftssanktionen und Sperrung von Auslandsguthaben als potentiell völkerrechtswidrig eingestuft. Das Gutachten, das amerika21 vorliegt, geht außerdem auf die Einordnung der Anerkennung des selbsternannten Interimspräsidenten Juan Guiadó durch die Bundesregierung und auf die Einmischung in "innere Angelegenheiten" Venezuelas ein, indem Deutschland sich "in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts positioniert" hat.

Nachdem sich bereits verschiedene Völkerrechtswissenschaftler wie der Göttinger Juraprofessor Kai Ambos gegenüber der Süddeutschen Zeitung zur Frage der Zulässigkeit der Wirtschaftssanktionen geäußert hatten, bestätigten nun auch die Juristen des Bundestages, dass "unterhalb der Schwelle zur Gewalt Wirtschaftssanktionen gleichwohl als verbotene Interventionen völkerrechtswidrig sein" können. Zwar gebe es bisher noch "keine klare gewohnheitsrechtliche Regel, wonach Wirtschaftssanktionen völkerrechtlich unzulässig sind", jedoch gelten für venezolanische Guthaben und Sacheinlagen bei Banken, die in Europa ansässig sind, zunächst die universellen Standards, insbesondere das Völkergewohnheitsrecht.

Es geht also grundsätzlich um die Einschätzung der Gewaltanwendung innerhalb Venezuelas. Nur wenn diese unwiderlegbar und eindeutig ist, seien Sanktionen mit dem Völkerrecht zu vereinbaren. "Das Interventionsverbot ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt und findet Niederschlag in Art. 2 Ziff. 7 der VN-Charta", heißt es in dem Gutachten.

Des Weiteren wird auch die Rolle der Organisation Amerikanischen Staaten (OAS) kritisch hinterfragt, indem die Artikel 19 und 20 der Demokratie-Charta der OAS als Rechtsgrundlage zur Bewertung der Wirtschaftssanktionen herangezogen werden. Darin heißt es, dass "kein Staat oder Staatengruppe das Recht zur Einmischung in innere Staatsangelegenheiten hat, direkt oder indirekt, aus welchem Grund auch immer". Damit sind nicht nur bewaffnete Interventionen, sondern jegliche Form der Einmischung gemeint, so die Charta der OAS. Die Anwendung oder auch nur Ermunterung zu wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen ist den Mitgliedsstaaten untersagt.

Dies ist umso erstaunlicher, da sich der Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, bereits seit Jahren aktiv gegen die Regierung von Nicolás Maduro positioniert und dies auch in den Wochen seit der Selbsternennung Guiadós weiterhin tut, wie in einem Interview am vergangenen Sonntag gegenüber der argentinischen Zeitung Clarín.

Das Gutachten nimmt im Weiteren auch Bezug auf die Interpretation von Artikel 233 der venezolanischen Verfassung durch die Opposition um Juan Guaidó wie auch der deutschen Bundesregierung. Man stütze sich auf den Passus des Hinderungsgrundes der Ausübung des Amtes durch den Präsidenten und damit der "gerichtlich verfügten Entmachtung/Absetzung des Präsidenten Maduro vom 29. Oktober 2018, in welcher der Oberste Gerichtshof Maduro auf Grundlage von Artikel 233 der Verfassung für abgesetzt erklärte und befand, es bestehe ein institutionelles Vakuum. "

Die Juristen des Bundestages bewerten diese Interpretation und das daraus folgende Vorgehen als "verfassungsrechtlich problematisch". Grund dafür ist, dass der erwähnte Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo de Justicia de Venezuela), seit 2017 im Exil tagt, nachdem dessen Richter im Juli desselben Jahres durch die von der Opposition dominierte Nationalversammlung gewählt wurden.

Nach Konfrontation mit der Regierung Maduro seien die Richter ins Exil, unter anderem nach Panama, Chile, Kolumbien und in die USA geflohen. Im Oktober 2017 erhielten die exilierten Richter am Sitz der OAS in Washington D.C. ein Büro. Somit hängt laut dem Gutachten "die Anwendbarkeit von Artikel 233 der venezolanischen Verfassung von der Verfassungsmäßigkeit des Urteils des Exil-Gerichts ab". Da in Venezuela zudem aber eine "anhaltenden Regierungs- und Verfassungskrise" herrsche, konnte die Interpretation des Artikels 233 durch die Opposition bisher noch nicht in Umsetzung gebracht werden.

Mit dem Verweis auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung positioniere sich Deutschland somit in einer strittigen Frage des venezolanischen Verfassungsrechts. Dies erscheine "unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates völkerrechtlich ebenso fragwürdig wie die (vorzeitige) Anerkennung eines Oppositionspolitikers als Interimspräsident, der sich im Machtgefüge eines Staates noch nicht effektiv durchgesetzt hat", so die Juristen in dem Gutachten.

Außerdem stelle die "Anerkennung des Oppositionspolitikers Guaidó als venezolanischen Interimspräsidenten in gewisser Weise eine Abkehr von der bisherigen Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland dar". Die Gutachter ziehen Vergleiche zu Libyen und Syrien, als die Anerkennung von Gegenregierungen durch die Bundesregierung jedoch auf Bürgerkriegssituationen beruhte.