Regierung in Brasilien will Bildungseinrichtungen der Landlosenbewegung schließen

Regierung bezeichnet MST als terroristische Organisation. In ihren Schulen würden Kinder lernen "fremdes Eigentum zu besetzen"

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Mehr als 1.000 Schulen der Landlosenbewegung MST in Brasilien sollen geschlossen werden
Mehr als 1.000 Schulen der Landlosenbewegung MST in Brasilien sollen geschlossen werden

Brasília. Brasiliens ultrarechter Präsident Jair Bolsonaro beginnt seinen angekündigten Feldzug gegen die Landlosenbewegung. Er erklärte vor wenigen Tagen, die mehr als 1.000 Schulen in den Siedlungen der meist in Kooperativen organisierten Mitglieder der Bewegung schließen zu wollen. Zudem kündigte die Regierung an, sie auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Gleichzeitig soll der Einsatz von Schusswaffen gegen Besetzungsaktionen von Brachland legalisiert werden.

Die Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST) besteht in Brasilien seit mehreren Jahrzehnten und kämpft für eine demokratische Landreform, mit der denjenigen Brachland übertragen werden soll, die es bewirtschaften. Dies ist ein in der brasilianischen Verfassung verankertes Prinzip. Auch heute noch besitzen ein Prozent der Landeigner Brasiliens rund 50 Prozent des Agrarlandes. Unter den progressiven Regierungen von Luiz Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff konnte die Bewegung ihrem Ziel näherkommen, es gab Ansätze einer Landreform und sie erhielten Besitztitel von verlassenen Ländereien. Doch immer noch warten viele Familien in provisorischen Lagern auf diesen Schritt.

Die Bewegung hat es als Vorreiterin einer biologischen Landwirtschaft in Brasilien geschafft, der ökologischen Produktion als anerkannter Marke auf dem Agrarmarkt einen festen Platz zu sichern. Der bewusste Konsum gesunder Lebensmittel gehöre zum Recht auf Ernährungssicherheit, lautet ihre Kampagne. Heute arbeiten die Mitglieder von 1.900 Vereinigungen in 96 landwirtschaftlichen Großbetrieben auf zuvor unproduktiven Ländereien und produzieren tonnenweise organische Lebensmittel. Sie können damit auf dem brasilianischen, aber auch auf dem internationalen Markt wachsenden Absatz erzielen und brachten es zu einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 700 Euro. Sie versorgen öffentliche Schulen, in denen die Kinder täglich eine warme Mahlzeit erhalten - eine Einrichtung aus den Zeiten Lulas.

Insgesamt sind heute 350.000 Familien im Rahmen der Bewegung tätig. Sie haben zahlreiche neue Siedlungen auf Grundstücken gegründet, die ihnen vom Staat übertragen wurden. Die Bewegung setzt einen neuen Horizont für die Lebensqualität auf dem Land und wirkt damit auch gegen die Landflucht in Lateinamerika. 1985 gab es noch 23 Millionen brasilianische Landarbeiter, heute sind es nur noch 15 Millionen. Die Elendsviertel um die Megastädte herum, in denen die Entwurzelten zur leichten Beute des organisierten Verbrechens und des Drogenhandels werden, legen Zeugnis von dieser Fehlentwicklung ab.

Das erfolgreiche, alternative Modell ist der Großindustrie des heutigen Agrarsektors offensichtlich ein Dorn im Auge. Nun will die neue Regierung die Bewegung der Landlosen durch Kriminalisierung bekämpfen. Als erster Schritt soll gegen die Schulen der Siedlungen der MST vorgegangen werden. Zur Begründung für die geplantrn Schließungen heißt es: "Sie erziehen dort Marxisten, Leninisten und Bolivarianer und lehren ihren Kindern, fremdes Landeigentum zu besetzen." Der Sekretär für Sonderangelegenheiten der Regierung, Luiz Antônio Nabhan sagte, die Schulen seien "Diktatorenfabriken". Die Verantwortlichen für die Indoktrination werde man bestrafen.

Die Vertreter der MST weisen den Vorwürf zurück: In ihren Schulen würden Kinder nicht indoktriniert, es handle sich in allen Fällen um öffentliche Schulen, deren Lehrpläne den Richtlinien des Bildungsministeriums entsprechen. Dazu gehört auch die Erwachsenenbildung. Von den fast 1.500 Schulen für Kinder und Jugendliche zwischen 7 und 14 Jahren sind über hundert bereits von den staatlichen Bildungseinrichtungen anerkannt.

"Alle Bemühungen der Landlosenbewegung, den Kleinbauern eine qualitativ hochwertige Ausbildung zukommen zu lassen, haben über die Jahre zu guten Ergebnissen geführt", erklärte die Organisation. Im Bundesstaat Piauí im Nordosten des Landes erzielten zwei ihrer Schulen im Jahr 2018 die höchste Erfolgsquote nach dem Entwicklungsindex in der Grundbildung (IDEB).