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Venezuela: Marsch der Kleinbauern fordert Korrektur der Agrarpolitik

Korruption, Nachlässigkeit, Unvermögen der Behörden behindern Nahrungsmittelproduktion. Protest auch gegen Kriminalisierung und Gewalt gegen Bauern

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"Der Chavismus ist mobilisiert zur Verteidigung der Bolivarischen Revolution": Kleinbauern marschieren zum Präsidentenpalast in Caracas, Venezuela
"Der Chavismus ist mobilisiert zur Verteidigung der Bolivarischen Revolution": Kleinbauern marschieren zum Präsidentenpalast in Caracas, Venezuela

Caracas. Seit mehr als zwei Wochen ziehen venezolanische Kleinbauern unter dem Motto "Produzieren und Versorgen" auf einem 400 Kilometer langen Marsch vom Bundesstaat Portuguesa in die Hauptstadt Caracas, um sich bei der Regierung Gehör zu verschaffen. Im Präsidentenpalast Miraflores wollen sie Staatschef Nicolás Maduro ein Dokument mit Forderungen und Vorschlägen übergeben.

In Anlehnung an die Militäraktion Simón Bolívars 1813 im Unabhängigkeitskrieg, "Bewundernswerte Kampagne", bezeichnen die Bauern ihre Aktion als "Bewundernswerten Marsch".

Gestartet ist er am 12. Juli in Guanare im Bundesstaat Portuguesa. Rund 200 Bäuerinnen und Bauern gehen mit Fahnen und Transparenten am Straßenrand entlang. Auf ihren Stationen, wo sie mit Kommunalen Räten und Arbeitern aus enteigneten Betrieben zusammentreffen, machen sie auf die vielen Probleme aufmerksam, mit denen sie konfrontiert sind ‒ wie Vertreibungen, Schikanen und allgemeine Missachtung seitens staatlicher Institutionen. Organisiert wird die Aktion von mehreren Bauernorganisationen.

Usmary Enrique, ein Sprecher der "Kampfplattform der Kleinbauern", erklärt, man wolle der Regierung die Problematiken der Bauernschaft darlegen und zugleich Maßnahmen vorschlagen, die ergriffen werden müssten, um sie zu lösen. Es gehe um eine "konstruktive Kritik an der Agrarpolitik". Unter anderem sollen selbstverwaltete Kommunen gestärkt und gemeinsam konkret für die Ernährungssouveränität gearbeitet werden. Die Regierung müsse zudem entschiedener gegen Korruption, Ineffizienz und Bürokratie vorgehen. Es müsse Schluss sein mit "schlechten Praktiken und schlechter Agrarpolitik", so Enrique weiter. In den letzten drei Jahren sei die Situation im Land wegen des Mangels an Nahrungsmitteln kritisch geworden und es könne nicht angehen, dass importiert werden muss, "was wir selbst produzieren können". Für Kleinproduzenten sei es aber fast unmöglich, landwirtschaftliche Ausrüstungen und Saatgut vom Staatsunternehmen Agropatria zu beziehen, während die gleichen Produkte in den Privatsektor und in die Hände illegaler Händler gelangten. Es fehle an Krediten und Förderungen für kleinbäuerliche Betriebe: So erhalten Bauern, die zwischen ein und zehn Hektar Land bearbeiten, keine Unterstützung bei der Finanzierung von Betriebsmitteln.

In der Plattform haben sich Basisorganisationen, Kollektive und Bauernräte aus verschiedenen Bundesstaaten zusammengeschlossen. Das Dokument sei Ergebnis eines gemeinsamen Arbeitsprozesses. Eine Woche nach Maduros Wiederwahl am 20. Mai habe ein landesweites Treffen stattgefunden, um den "Kampfplan der Bauern" zu diskutieren und Vorschläge auszuarbeiten. Dabei wurde auch der Marsch nach Caracas vereinbart, "um unsere politische Unterstützung für die Regierung zum Ausdruck zu bringen und das Dokument zu übergeben", so Alexander Alayo von der Kampfplattform.

Das Auftaktdatum wurde gewählt, weil zwei Monate zuvor, am 12. Mai die Bauernführer Jesús León und Guillermo Toledo im Bundesstaat Barinas getötet wurden. Die Verantwortlichen sind bislang ebenso wenig festgenommen worden wie die Auftragsmörder und Hintermänner, denen in den vergangenen 15 Jahren mehr als 300 Bauern zum Opfer fielen. Die Bedrohungssituation für die Bewohner ländlicher Gebiete halte an, wie Arbonio Ortega, einer der Organisatoren des Marsches, ausführt. Die Großgrundbesitzer bezahlten Paramilitärs und heuerten Auftragsmörder an, um Bauern einzuschüchtern, zu vertreiben und sich das Land wieder anzueignen. Dies betreffe vor allem solche Grundstücke, für die ein Verfahren zur Übernahme beim zuständigen Nationalen Landinstitut (INTI) noch offen ist, also ehemals ungenutzte Flächen, die der Behörde gemeldet und von Landarbeiterkollektiven für die Bearbeitung übernommen wurden.

Die Kleinbauern berichten, dass sie häufig von der Polizei im Dienste der lokalen Großgrundbesitzer schikaniert und vertrieben werden. Ein kritischer Punkt sei auch das Verhalten einiger Regionalregierungen, wie im Fall des Teilstaates Portuguesa. Allein dort gibt es aktuell 57 Anzeigen des Gouverneurs Rafael Calles von der Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) gegen Bauern wegen "Eindringens" in Grundstücke. Er habe per Dekret verfügt, dass die Sicherheitskräfte gegen die Bauern vorgehen können, die keine Landtitel vorweisen. Die betreffenden Grundstücke wurden vor zehn, zwölf Jahre rechtmäßig zur Bearbeitung übernommen, jedoch habe das INTI bis heute die formelle Übertragung verzögert. Mit dem Marsch wolle man auch "Korruption, Nachlässigkeit und Unvermögen vieler Beamter in den Institutionen" anprangern.

Anfang April hatte Maduro sich öffentlich für die Bauern stark gemacht und neue Landtitel vergeben. Er werde die Vertreibung von Kleinbauern in Zukunft vollständig verbieten, so der Präsident. Dennoch jagte die Polizei am 20. Juli gewaltsam Bauernfamilien von einem legal übernommenen Grundstück in El Chavero, Barinas, das ehemals brach lag und nach der Enteignung für den Anbau von Mais und Maniok genutzt wurde.