Brasilien: Zeuge bringt Licht in Mordfall Marielle Franco

Ex-Leibwächter von Gangsterboss packt aus. Marielle Franco musste wohl sterben, weil sie zur Gefahr für krumme Geschäfte wurde. Abgeordneter im Fokus der Polizei

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Das politische Engagement von Marielle Franco in benachteiligten Gegenden Brasiliens wurde zur Gefahr für paramilitärische Milizen
Das politische Engagement von Marielle Franco in benachteiligten Gegenden Brasiliens wurde zur Gefahr für paramilitärische Milizen

Rio de Janeiro. Die Ermittlungen um den Mord an der Abgeordneten Marielle Franco von der Sozialistischen Partei (PSOL) und ihrem Fahrer Anderson Gomes am 14. März stehen möglicherweise vor einem Durchbruch. Ein Zeuge, der jahrelang im Dienst einer paramilitärischen Miliz stand, hat sich an die Polizei in Rio gewandt und umfassende Aussagen zu den mutmaßlichen Tätern und Hintergründen des Verbrechens an der Linkspolitikerin gemacht.

Demzufolge haben Francos Rathauskollege Marcello Siciliano von der rechten Splitterpartei PHS und der Ex-Polizist und Chef einer lokalen Miliz, Orlando Oliveira de Araújo, den Mord an Franco geplant. Ferner lieferte der Informant die Namen von zwei weiteren Personen, die die Ermordung durchgeführt haben sollen. Dabei handelt es sich um einen Polizisten und einen polizeilich gesuchten Ex-Polizisten aus dem Stadtteil Maré, aus dem auch Franco stammte. Die beiden hätten zusammen mit zwei anderen Männern in dem Wagen gesessen, aus dem heraus die Aktivistin und ihr Fahrer erschossen wurden. Die Zeitung Globo hat Auszüge der Zeugenaussage diese Woche öffentlich gemacht.

Der Minister für Innere Sicherheit, Raul Jungmann, bestätigte am Donnerstag die Zeitungsberichte: "Die Ermittlungen im Fall Marielle befinden sich in einer finalen Phase. In Kürze haben wir Ergebnisse". Neben den genannten Personen werde auch gegen andere ermittelt, so Jungmann gegenüber dem Nachrichtenportal UOL.

Laut dem Informanten haben die Gespräche über Marielle Franco zwischen dem Abgeordneten Siciliano und dem Milizenchef Oliveira de Araújo bereits im Juni 2017 begonnen. Inzwischen sitzt Oliveira im Gefängnis. Er wurde im Oktober 2017 verhaftet, weil er eine paramilitärische Miliz im Stadtteil Curicica in Rios östlicher Region Jacarepaguá anführte. Noch aus dem Gefängnis heraus habe er die Miliz weiter befehligt. Den Auftrag zur Ermordung Francos habe er per Telefon gegeben.

Ratsmitglied Siciliano war bereits Anfang April in den Fokus der Polizei geraten, nachdem diese die Handynummer des Fahrers des Tatfahrzeugs identifizieren konnte. Telefonverbindungen führten unter anderem zu dem genannten Mitglied des Abgeordnetenhauses. Siciliano gilt als politischer Arm der paramilitärischen Milizen im Rathaus von Rio. In einem Polizeibericht von 2014 wird ihm nachgesagt, Einfluss auf das organisierte Verbrechen in der Region Jacarepaguá zu haben und durch dessen Unterstützung in sein Amt gekommen zu sein. Diese para-polizeilichen Gruppen formierten sich unter dem Vorwand, den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen und rekrutieren sich vorwiegend aus ehemaligen oder außer Dienst stehenden Polizisten und Militärangehörigen. Nicht selten finanzieren sie sich aus Schutzgelderpressungen und der Kontrolle lokalen Handels.

Die Entscheidung zur Ermordung der schwarzen Aktivistin Franco sei dem Zeugen nach einen Monat vor ihrer Hinrichtung erfolgt. Laut einem Vernehmungsprotokoll war der Informant als Leibwächter von Oliveira Zeuge von vier Gesprächen zwischen den beiden Hauptbeschuldigten. Im Juni 2017, als Oliveira noch auf freiem Fuß war, habe sich der Abgeordnete Siciliano über die politische und zivilgesellschaftliche Arbeit von Franco in der Region Jacarepaguá erregt. "Der Abgeordnete hat sehr laut gesprochen: 'Diese Frau kommt mir in die Quere'. Danach schlug er mit der Hand auf den Tisch, schaute zum Ex-Cop und sagte, 'Wir müssen das bald klären'", wird der Zeuge in dem Vernehmungsprotokoll zitiert.

Aufgrund ihres Einsatzes für Schwarze und Benachteiligte hatte sich die Popularität Francos in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Dabei gewann sie gerade in marginalisierten Bezirken an politischem Einfluss. Marielle Franco war bei den Kommunalwahlen 2016 unter den fünf meist gewählten Abgeordneten für das Rathaus.

Nach Angaben des Zeugen sahen die beiden Hintermänner in Franco und ihrem wachsenden Einfluss in der Region Jacarepaguá eine Gefahr für die politischen und wirtschaftlichen Geschäfte. Schätzungen des Informanten zufolge erzielten die Milizen mit Schutzgelderpressung und illegalen Geschäften einen monatlichen Umsatz in Höhe von 215.000 Reais (rund 50.000 Euro). Gleichzeitig ist die Region Jacarepaguá die Hochburg der Wähler von Ratsmitglied Siciliano. Die Linkspolitikerin soll dort Anwohnerinitiativen in deren  Arbeit unterstützt, Stimmen gewonnen und damit den Einfluss und die Kontrolle über die Region durch Oliveira und Siciliano bedroht haben. Hierdurch beschwor sie die Feindschaft mit dem Milizenchef herauf, so dessen früherer Leibwächter.

"Sie hat den Chef der Milizen und den Abgeordneten indirekt herausgefordert. Die beiden (der Chef und Marielle) fingen an, sich einen Wettkampf um die Anwohnerinitiativen in den Stadtteilen Cidade de Deus und da Vila Sapê zu liefern. Sie hatte echt Charakter. […] Orlando war der operative Arme des Abgeordneten [Siciliano] im Osten von Rio. Der Abgeordnete rechnete weiterhin mit der Unterstützung von Orlando, auch nachdem dieser inhaftiert wurde", heißt es in der Zeugenaussage, die Globo vorliegt.

Auch über den Tathergang selbst sind mehr Details an die Öffentlichkeit gelangt. Zuletzt war bekannt geworden, dass Überwachungskameras auf der Route von Franco und im Bereich des Hinterhaltes 24 bis 28 Stunden vor der Tat deaktiviert wurden, wie die Zeitung Extra berichtete. Eine dieser Kameras befindet sich genau gegenüber dem Punkt, von wo die Schüsse auf den Wagen von Franco abgefeuert wurden. Mittlerweile sind auch Tatfahrzeug und Fahrer identifiziert worden. Der Wagen war vor dem Hinterhalt in einem von Oliveira kontrollierten Stadtteil im Osten von Rio gesichtet worden.

Zudem bestätigte der Zeuge, dass weitere Morde mit der Hinrichtung Francos in Verbindung stehen und auf das Konto der Gruppe gehen. Zwei Tage nach der Vernehmung Sicilianos im April war sein Wahlkreismitarbeiter Carlos Alexandre Pereira Maria erschossen worden. Laut Zeugenaussagen sollen die Mörder kurz vor der Erschießung Pereira Marias gerufen haben, "Es reicht. Dem muss man das Maul stopfen", berichtete die Zeitung Extra. Zwei Tage später wurde der Polizist und Angehörige der Miliz, Anderson Claudio da Silva, ermordet. Auch in seinem Fall soll es sich um die Eliminierung von Mitwissern gehandelt haben.

Derweil bestreiten Siciliano und Oliveira ihre Tatbeteiligung. Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch erklärte das Ratsmitglied, dass er Oliveira nicht kenne und nicht verstehe, warum diese "fake-news gegen meine Person kreiert wurden". Er habe eine gute Beziehung zu Franco gehabt. Milizenchef Oliveira beschuldigte den Informanten, aus Rache zu handeln. Ferner fordert er seine Verlegung, da er fürchtet vergiftet zu werden.

Der Informant steht indes unter Zeugenschutz.