Brasilien treibt Verhandlungen für Beitritt zur OECD voran

Brasilien will Vollmitglied der OECD werden. Kritiker befürchten Ausbau neoliberaler Wirtschaftsprogramme und Wandel der Außenpolitik

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Carlos Márcio Cozendey verantwortlich OECD Beitritt
Verantwortlich für geplanten OECD-Beitritt von Brasilien: Carlos Márcio Cozendey

Brasília. Die brasilianische Regierung intensiviert die Verhandlungen über einen Beitritt zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Während die Regierung inmitten des größten Korruptionsskandals des Landes versucht, die ökonomischen Voraussetzungen für eine Aufnahme als Vollmitglied zu erfüllen, soll ab März diesen Jahres die diplomatische Vertretung in Paris, dem Sitz der OECD, verstärkt werden, um den Beitrittsprozess voranzutreiben. Finanzminister Henrique Meirelles und Außenminister Aloysio Nunes hatten im Mai 2017 im Namen der Regierung einen formellen Antrag auf Vollmitgliedschaft bei der OECD eingereicht. Kritiker befürchten einen ideologischen Wandel in der Außenpolitik des Landes, der sich auf die Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Schwellenländern auswirken würde.

Brasiliens Botschafter Carlos Márcio Cozendey, derzeit Unterstaatssekretär für Wirtschaft und Finanzen im Itamaraty (Außenministerium), wurde von De-facto-Präsident Michel Temer als Delegierter für internationale Organisationen in Paris ernannt und erhält einen personellen Stab, um den Annäherungsprozess auf diplomatischer Ebene voranzutreiben.

Brasilien, das sich aktuell von der größten wirtschaftlichen Rezession in der Geschichte des Landes erholt, hat zudem mit einer Reihe politischer Krisen zu kämpfen, die ihren Ursprung auch in dem historischen Korruptionsskandal „Lava Jato“ haben. Mit dem Argument ausländische Investitionen anzuziehen und das Wirtschaftswachstum des Landes wieder anzukurbeln, hat die zentristische und wirtschaftsfreundlich-orientierte Regierung von Präsident Michel Temer damit begonnen, neoliberale Wirtschaftsreformen, wie die Renten- und Arbeitsmarktreform, durchzusetzen.

Einer Einschätzung der Regierung zufolge sei der Antrag auf Vollmitgliedschaft ein starkes Signal dafür, dass Brasilien eine marktfreundliche Politik in Form einer offenen, berechenbaren, rechenschaftspflichtigen und transparenten Wirtschaft anstrebt.

Die Regierung erhofft sich, dass ein Beitritt vor allem internationale Investitionen und Exporte begünstigen, das Vertrauen der Investoren und der Unternehmen stärken und das Image des Landes im Ausland durch die Förderung des Dialogs mit den Industrieländern weiter verbessern werde. Für Schwellenländer, zu denen Brasilien gezählt wird, würde der Beitritt zur OECD zudem die Kreditaufnahme im Ausland zu niedrigeren Zinsen ermöglichen.

Der Präsident der Abgeordnetenkammer und Temers Verbündeter, Rodrigo Maia (DEM-RJ), erklärte im Mai 2017, dass das Parlament entschlossen sei, "die Agenda des freien Marktes zu verteidigen". Die Richtlinien der OECD entsprechen genau dieser Sichtweise.

Der Antrag auf eine Vollmitgliedschaft ist zunächst einer von mehreren Schritten des Annäherungsprozesses, der eine interne Abstimmung der Mitgliedsländer und die Erarbeitung einer Liste von Maßnahmen und Reformen erfordert, die Brasilien für eine Aufnahme erfüllen muss. In der Vergangenheit hatten sich die politischen Führungen des Landes dazu entschieden keine Mitgliedschaft anzustreben, da ein solcher Schritt die Regierung dazu zwingen würde, nationale Gesetzes- und Wirtschaftsreformen auf den Weg zu bringen, um sich den Standards der OECD anzunähern. Dies umfasst unter anderem Gesetzesänderungen im Steuersystem und Verfahren in der Verwaltung, um diese den Regeln der OECD anzupassen.

Als größte lateinamerikanische Wirtschaft wird Brasilien von der OECD als strategisches Partnerland gesehen. Die Partnerschaft des Landes mit der Organisation begann im Jahr 1994, als der OECD-Ministerrat beschloss, ein zu Brasilien arbeitendes Programm aufzubauen. Im Mai 2007 beschloss derselbe Rat, "die Zusammenarbeit mit den Schwellenländern Brasilien, China, Indien, Indonesien und Südafrika" durch ein Programm des “verstärkten Engagement” auszubauen und diese Länder für einen möglichen Beitritt zum Club vorzubereiten. Im Jahr 2012 wurden diese fünf Länder Schlüsselpartner (“key partners”) der Organisation. Noch unter der politischen Führung von Ex- Präsidentin Dilma Rousseff hatte die brasilianische Regierung weitere Schritte für eine engere Zusammenarbeit mit der Organisation vereinbart und eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Diese enthielt ein Arbeitsprogramm von 126 Aktivitäten für die Jahre 2016 und 2017. Auch wenn Brasilien bisher kein Vollmitglied der Organisation ist, nimmt es bereits aktiv in 23 verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen teil.

Während des Weltwirtschaftsforums im Schweizerischen Davos im Januar dieses Jahres kam es bereits zu einem Treffen zwischen OECD-Generalsekretär Angel Gurría und Temer. Finanzminister Henrique Meirelles, der sich in Davos mit dem Staatssekretär des US-Finanzministeriums Steven Mnuchin traf, gab bekannt, dass dieser ihm seine “starke persönliche Unterstützung” zugesichert habe, um Brasilien bei seinen Beitrittsbestrebungen zu unterstützen. Dem entgegen wurde berichtet, dass US-Präsident Donald Trump sich gegen eine Erweiterung der OECD um neue Mitgliedsländer ausspreche.

Derzeit sind Chile und Mexiko die einzigen Mitglieder auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Neben Brasilien streben weitere Länder in der Region eine Aufnahme in den Club an. Kolumbien, Peru und Costa Rica befinden sich seit 2013 Jahren im Aufnahmeprozess.

Der Antrag der brasilianischen Regierung muss einstimmig von den 35 Ländern der Organisation akzeptiert werden. Sollte Brasilien als Mitglied aufgenommen werden, wird die OECD einen "Fahrplan" erstellen, der notwendige Änderungen und Anpassungen an Rechtsvorschriften aufzeigt, um den Regeln und Standards der Organisation zu entsprechen. Damit würde sich das Land auch dazu verpflichten, jährlich zum Haushalt der Organisation beizutragen. Experten gehen dann von Zahlungen von jährlich gut 5,5 Millionen US-Dollar aus.

Die OECD wurde am 14. Dezember 1961 als Nachfolger der 1948 gegründeten Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit gegründet. Der Mexikaner José Ángel Gurría Treviño ist seit dem 1. Juni 2006 der Generalsekretär. Die Organisation besteht aus 35 Mitgliedsländern, sowohl hoch industrialisierte Länder mit  hohen Pro-Kopf-Einkommen (u.a. USA, EU, Japan), als auch Schwellenländer (u.a. Chile, Türkei und Südkorea). Zusammen machen sie etwa 62 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung und zwei Drittel des internationalen Handels aus.