Internationaler Gerichtshof nimmt 29 Militärs aus Kolumbien ins Visier

Bericht zeigt Untätigkeit der kolumbianischen Justiz bei Mordfällen durch das Militär. Hochrangige Soldaten könnten nun vor dem Gericht in Den Haag landen

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Sollte die Justiz in Kolumbien gegen die 29 (Ex-) Militärs nicht zufriedenstellend ermitteln, könnte der Internationale Gerichtshof in Den Haag sie strafrechtlich belangen
Sollte die Justiz in Kolumbien gegen die 29 (Ex-) Militärs nicht zufriedenstellend ermitteln, könnte der Internationale Gerichtshof in Den Haag sie strafrechtlich belangen

Den Haag/Bogotá. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat in seinem jüngsten Bericht zu Kolumbien auf die mögliche Verwicklung von 23 Generalen und sechs Obersten der Armee in circa 1.228 außergerichtliche Hinrichtungen zwischen 2002 und 2010 hingewiesen. Die mindestens 4.200 Opfer dieser Mordfälle, auch als "falsos positivos" bekannt, waren Zivilisten, welche die Armee als im Gefecht gefallene Guerilleros präsentiert hatte. Sollte die kolumbianische Justiz gegen diese zum Teil noch aktiven 29 Militärs nicht zufriedenstellend ermitteln, könnte der IStGH sie strafrechtlich belangen. Unter ihnen sind der aktuelle Oberkommandierende der Streitkräfte, Juan Pablo Rodríguez, sowie der Militärattaché in Washington, Jaime Alfonso Lasprilla.

Zwar hat Kolumbiens Justiz bislang rund 1.000 Offiziere in mittleren Rängen und Angehörige niedriger Hierarchieebenen der Streitkräfte wegen "falsos positivos" schuldig erklärt. Nur wenige Oberbefehlshaber sind jedoch zur Rechenschaft gezogen und keiner von ihnen ist bisher verurteilt worden. Die 29 hochrangigen Offiziere und Ex-Offiziere, auf die sich der IStGH bezieht, waren die Befehlshaber der Divisionen und Brigaden, die über 1.200 außergerichtliche Hinrichtungen zu verantworten haben.

Der IStGH habe Informationen darüber, wie einige der Oberbefehlshaber ihre Untergebenen mit der Streichung von Urlaubstagen oder ökonomischen Prämien bestraft hätten, wenn sie keine "Ergebnisse" in den militärischen Kämpfen zeigten. Die Opfer kamen aus entfernten Regionen oder benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Sie waren Obdachlose, Drogensüchtige oder Menschen, die als Risiko für die Gesellschaft galten, erklärt der Strafgerichtshof. Das Militär habe Zivilisten, Paramilitärs, Polizisten oder Soldaten eingesetzt, um die Opfer zu entführen oder sie mit falschen Jobversprechen anzulocken. In einigen Fällen wurden sie vor der Hinrichtung gefoltert.

Aus den Informationen, die dem IStGH zur Verfügung stehen, könne seine Anklagevertretung nicht schließen, dass die kolumbianischen Behörden "konkret" und "sukzessiv" in diesen Fällen ermittelte, heißt es laut der Tageszeitung El Espectador in dem Bericht. Angesichts der noch nicht geregelten Übergansjustiz für den Frieden (JEP) steht offen, wie es mit den "falsos positivos" weiter geht. Familienangehörige der Opfer und ihre Anwälte lehnen die Behandlung solcher Verbrechen durch die JEP ab. Sie argumentieren, dass diese Morde nicht im Rahmen des bewaffneten Konflikts sondern "kaltblütig" und zur Erlangung persönlicher Begünstigungen begangen wurden.

Sollte diese Art von außergerichtlichen Hinrichtungen von der Übergangsjustiz untersucht werden, wie es die Regierung festlegen will, wäre die Frage nach der Verantwortung in der Befehlskette problematisch. Die allgemeinen Richtlinien der JEP entsprechen nicht dem Artikel 28 des Römischen Statuts des IStGH, laut dem ein militärischer Befehlshaber "aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände" über die Verbrechen seiner Truppen "hätte Bescheid wissen müssen". Bei der JEP ist ein Befehlshaber nur verantwortlich, wenn er von diesen Verbrechen effektiv wusste, was schwieriger zu beweisen ist.

Indessen hat der Internationale Gerichtshof die 1.288 "falsos positivos" je nach Region der Zuständigkeit der kompromittierten Divisionen und Brigaden in fünf potenzielle Fälle aufgeteilt, denen nachgegangen würde, wenn die kolumbianische Justiz versagt.

Wegen des IStGH-Berichts warf der Verteidigungsminister Luis Carlos Villegas seinerseits der internationalen Justizbehörde vor, entschieden zu haben, dass es "in Mode" sei, sich mit Kolumbien zu beschäftigen. Es sei nicht bewiesen, dass die kolumbianische Justiz nicht agiert, denn jeden Tag sähe man, wie die Staatsanwaltschaft handle.

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