Brasilien / Politik / Umwelt

Protest gegen Emissionshandel mit Wäldern als Kohlenstoffsenken in Brasilien

cop21.png

Bei der 21. UN-Klimakonferenz und gleichzeitig 11.Treffen zum Kyoto-Protokoll 2015 wurde das Pariser Klima-Abkommen beschlossen
Bei der 21. UN-Klimakonferenz und gleichzeitig 11.Treffen zum Kyoto-Protokoll 2015 wurde das Pariser Klima-Abkommen beschlossen

Brasília. Über 50 brasilianische Organisationen und soziale Bewegungen, die zu Umweltthemen, Menschenrechten, Arbeiterrechten, indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften arbeiten, haben dem Umweltministerium und dem Außenministerium des Landes in einem offenen Brief ihre Position dargelegt, um die historische Position Brasiliens hinsichtlich der Bewertung von Wäldern auf Kohlenstoffmärkten zu verteidigen.

Sie reagieren damit auf aktuelle politische Versuche, Wälder auf Kohlenstoffmärkten zur Kompensation fossiler CO2-Emissionen anzurechnen (sogenannte Offsets) – eine Maßnahme, die "falsch und keine Lösung für die Herausforderungen des Klimawandels" sei.

Die Verfasser kritisieren, dass einige Akteure die Verhandlungen über die Umsetzung des Pariser Klima-Abkommens, aber auch die aktuelle politische Krise und die ökonomischen Turbulenzen als Vorwand nutzen wollten, um Maßnahmen für die Anrechnung von Wäldern als Senken im Kohlenstoffhandel zu fordern. Dieser Versuch würde nur denjenigen nutzen, die weiter Treibhausgase emittierten oder von internationalen Klimageldern profitierten, hätte aber gravierende Konsequenzen für Brasilien und die ganze Welt.

In ihrem Brief vom 12. Juli legen sie acht Gründe dar, warum der Zertifikatehandel mit Wäldern die Klimakrise verschärfen würde. Unter anderem heißt es, dass das emittierte CO2 aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht gleichwertig sei mit dem CO2, das temporär in Wäldern als biogenen Senken gespeichert werde; darüber hinaus würden soziale Ungleichheiten verschärft, und die CO2-Offsets schüfen Anreize, damit manche Länder ihre Ambitionen zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen gegenüber den Vereinten Nationen abschwächten.

Die Unterzeichner unterstützen demgegenüber die frühere Position der brasilianischen Regierung, keine Waldprojekte wie vermiedene Entwaldung, Waldschutz und Wald-Restauration im CO2-Zertifikatehandel anzuerkennen, mit der Begründung: "Wir können nicht die Aufmerksamkeit von den wirklichen Lösungen und notwendigen Politiken zur Bekämpfung der Klimakrise ablenken."


Der offene Brief im Wortlaut:

In den 23 Jahren seit der Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention sind viele Vorschläge zur Lösung der Klimakrise gemacht worden. Der Einbezug von Wäldern in Mechanismen zur Kompensation fossiler CO2-Emissionen (offsets) ist einer davon. Seit die ersten Vorschläge hierzu unterbreitet wurden, haben zahllose Umweltorganisationen und soziale Bewegungen, Vertreter*innen von indigenen Völkern und traditionellen Gemeinschaften ihre Sorgen manifestiert und angeprangert, dass dies ‚falsche Lösungen‘ für die Klimakrise seien.

Im aktuellen Kontext der internationalen Verhandlungen und der nationalen Konjunktur nutzen einige Akteure die Verhandlungen zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, die politische Krise und die ökonomischen Turbulenzen Brasiliens als Vorwand, um zu fordern, dass Waldprojekte doch im Emissionshandel zur Kompensation fossiler Treibhausgas-Emissionen angerechnet werden können (sogenannte Offsets)).

Die Unterzeichner des Briefs sehen diese Vorschläge mit großer Besorgnis und setzen sich für die Beibehaltung der bisherigen, ablehnenden Position Brasiliens gegen solche Kompensationsprojekte ein. Sie stimmen darin überein, dass jedwede Veränderung dieser Haltung nicht nur die Integrität der Ökosysteme des Landes und des Planeten gefährden würde, sondern auch die Erfüllung der historischen Verantwortung der Industrieländer und die Architektur des Pariser Klima-Abkommens.

Warum sind Wald-Offsets eine falsche Lösung?

1. Sie gaukeln eine vermeintliche Gleichwertigkeit des CO2 aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe vor, die unter der Erde gespeichert sind, mit dem CO2, das nur temporär von Wäldern gespeichert wird. Die Kapazität von Wäldern und Ökosystemen, CO2 aus der Atmosphäre zu fixieren, ist viel langsamer als der Rhythmus der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Das in Wäldern gespeicherte CO2 ist gefährdet durch Abholzung und Waldbrände.

2. Sie dienen als Anreiz, damit manche Länder ihre Verpflichtungen zur Emissionsreduzierung [im Ausland] erfüllen. Das Paris-Abkommen basiert auf nationalen Verpflichtungen, die freiwillig von Regierungen festgelegt werden. Nur Emissions-Reduzierungen, die über diese freiwilligen Verpflichtungen hinausgehen, können auf sogenannten Offset-Märkten kompensiert werden. Mit Offsets (also Emissions-Handelsmöglichkeiten) wird ein Anreiz für niedrigere nationale Ambitionen und den Zukauf von mehr ‚Verschmutzungsrechten‘ auf internationalen CO2-Märkten geschaffen.

3. Sie bringen keinen Zusatznutzen zur Reduzierung von Emissionen, weil sie ein Nullsummenspiel sind. Es handelt sich nie um eine effektive Emissions-Reduzierung, weil es nur Kompensationen [Verlagerungen] sind. Die Emissionen, die [vermeintlich] durch vermiedene Entwaldung reduziert werden, werden weiterhin in anderen [fossilen] Sektoren emittiert.

4. Sie übertragen die Verantwortung von Sektoren, die zur Klimakrise beitragen, auf jene, die immer schon die Wälder geschützt haben: indigene Völker, traditionelle Gemeinschaften sowie die kleinbäuerliche Familien-Landwirtschaft.

5. Sie vertiefen und schaffen neue Formen von Ungleichheit, weil diejenigen, die Geld und Macht haben, sich einfach freikaufen und weiterhin emittieren können, ohne ihren Beitrag zu leisten. Das Verursacherprinzip, nach dem die Verschmutzer für die von ihnen verursachten Schäden zahlen bzw. diese reparieren müssen und das ursprünglich erdacht wurde, um Druck auf die emittierenden Länder und Sektoren auszuüben, ihre Verschmutzung zu reduzieren, wird vereinnahmt durch diejenigen, die zahlungskräftig sind und damit fortfahren können, wenn sie sich freikaufen.

6. Sie belasten und gefährden die Wälder wie eine Hypothek, um die Schulden aus dem Verkauf von Emissions-Reduktions-Zertifikaten zu tilgen. Hierfür werden Verpflichtungen über viele Jahrzehnte eingegangen, die auch eine Hypothek für viele Tausende zukünftiger Menschen bedeuten, die schon geboren werden, ohne dass der Staat und die Völker auf seinem Territorium die Souveränität darüber hätten, welche Politiken und Maßnahmen zum Schutz und Nutzen seiner Gemeingüter ergriffen werden.

7. Sie öffnen Tür und Tor, damit Regierungen und andere Akteure die Aufmerksamkeit hin zu Wäldern ablenken von den Diskussionen über eine Reduzierung der Verbrennung fossiler Brennstoffe, die rund 70 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen der Welt darstellen und noch ansteigen.

8. Sie lenken den Fokus der Konfrontation ab auf reale, nationale Probleme mit den Wäldern, die geschürt werden von Interessengruppen, die die Waldschutzpolitiken im Land schwächen wollen, und sie stärken den Diskurs derjenigen, die die brasilianische Umweltschutzgesetzgebung untergraben wollen.

Auf internationaler Ebene war seit mindestens zwei Jahrzehnten die brasilianische Verhandlungsposition in der Klimarahmenkonvention davon geprägt, dass die Anrechnung von Wäldern in Mechanismen zur Kompensation von Treibhausgasemissionen aus Sektoren wie Energie und Verkehr abgelehnt wurde.

Auf nationaler Ebene beklagen wir eine Konjunktur der Rückschritte bei den Gesetzen und Politiken, die den Schutz territorialer Rechte und der Umwelt garantieren. Inmitten dieser Krise und Offensive drängt sich wieder der Diskurs auf, dass der Kauf und Verkauf von in Wäldern gespeichertem CO2 eine Lösung wäre, um die Entwaldung zu stoppen und um die nötigen finanziellen Ressourcen für die Überwachung und das Monitoring zu erhalten.

Dies alles geht einher mit den Anstrengungen, die Nationale Kommission für REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) namens CONAREDD+ und den Amazonas-Fonds zu gründen, so dass sie auch Raum für den Handel mit fossilen Kohlenstoffemissionszertifikate gegen Walderhalt eröffnen.

So attraktiv dieser Diskurs erscheinen mag - die oben genannten Argumente zeigen, dass es sich um eine falsche "Lösung" handelt, die nur darauf ausgerichtet ist, einer kleinen Interessengruppe zu nutzen (diejenigen, die weiter Treibhausgase aus fossiler Verbrennung emittieren und diejenigen, die internationale Klimaschutzgelder empfangen), hingegen würde sie gravierende Konsequenzen für Brasilien und die Welt haben.

Wir können nicht die Aufmerksamkeit von den wirklichen Lösungen und notwendigen Politiken zur Bekämpfung der Klimakrise ablenken.

Darum fordern wir das Festhalten an der bisherigen Position Brasiliens gegen den Zertifikatehandel und die Aufrechnung fossiler Emissionen mit Waldschutzmaßnahmen (offsets).

Wenn Sie über diesen Artikel mitdiskutieren wollen, nutzen Sie bitte die Kommentarfunktion auf unserer Facebook-Seite oder folgen Sie einfach diesem Link