Proteste in Französisch-Guyana stellen Status gegenüber Paris infrage

Forderungen nach Arbeit, sozialer Sicherheit, Verbesserungen im Gesundheits- und Bildungssystem und mehr Autonomie. Weltraumbahnhof der ESA besetzt

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Massive Demonstrationen wegen der prekären Situation der Sozialsysteme in Französisch-Guyana
Massive Demonstrationen wegen der prekären Situation der Sozialsysteme in Französisch-Guyana

Cayenne, Französisch-Guayana/Paris. Im Zuge der anhaltenden sozialen Proteste in Französisch-Guyana könnte es auch zu Spannungen zwischen Frankreich und dem sogenannten Überseedepartment kommen. In dem seit dem 17. Jahrhundert von Frankreich kolonisierten Land, in dem rund 280.000 Menschen wohnen, kommt es derzeit zu massiven Demonstrationen wegen der prekären Situation der Sozialsysteme. Die Protestteilnehmer besetzten in dem Zusammenhang auch das europäische Raumfahrtzentrum bei Kourou.

Die Einrichtung dieses "Weltraumbahnhofs" ist bis heute umstritten: Während es an finanziellen Mitteln für Infrastrukturinvestitionen und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu mangeln scheint, investiert Paris seit Jahrzehnten großzügig in dieses Projekt. Seit 1979 werden von dort aus Ariane-Raketen des europäischen Raumtransportunternehmens Arianespace gestartet, weshalb das Zentrum von wesentlicher Bedeutung für die europäische Weltraumorganisation ESA ist. Außerdem liegt Französisch-Guayana deutlich näher am Äquator als der Rest Europas – wodurch bei Raketenstarts weniger Treibstoff verbraucht wird. Das Raumfahrtzentrum stellt heute einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor für Guayana dar.

"Wir werden uns nicht von hier fortbewegen. Guyana ist blockiert, also seid auch Ihr blockiert", sagte Manuel Jean-Baptiste, einer der Anführer der Protestbewegung, gegenüber der Leitung des Raumfahrtzentrums. Bisher ruhig verhielt sich das französische Militär, das einen Luftwaffenstützpunkt in Rochambeau unterhält, was die strategische Bedeutung Guyanas zusätzlich steigert.

Ende März bereits waren der französische Innenminister, Matthias Fekl, und die Ministerin für Überseegebiete, Ericka Bareigts, nach Cayenne gereist um eine Lösung auszuhandeln. Daraufhin wurde bekannt gegeben, dass die französische Regierung eine Milliarde Euro in Sicherheit, Justiz, Bildung und Gesundheit investieren will. Die Gelder sollen über zehn Jahre gestaffelt fließen. Die Protestierenden fordern indes Finanzmitteln in Höhe von 3,1 Milliarden Euro für die Verbesserung des Gesundheitssystems und des Bildungssektors sowie die Reformierung der Sozialversicherung fließen. Inzwischen haben sich laut Medienberichten beide Seiten auf 2,1 Milliarden Euro geeinigt.

Von großer Brisanz ist die Forderung der Protestierenden nach Etablierung eines speziellen Status des "Überseedepartments", der größere Autonomie für das Territorium vorsehen würde. "Wir fordern, dass der Präsident und die Regierung in Dialog mit der guayanischen Gesellschaft treten und eine offene und transparente Debatte anstoßen, mit dem Ziel Französisch-Guayana einen speziellen Status zuzugestehen", sagt einer der Anführer der Bewegung, Davy Rimane.

Als integraler Bestandteil des französischen Staatsgebietes gehören die "Überseedepartments" rechtlich gesehen zur Europäischen Union. Sie stellten daher einen wichtigen Präzedenzfall im Hinblick auf die Anwendung europäischer Normen in den Bereichen von politischen und Menschenrechten dar, argumentiert der Politikwissenschaftler, William F. S. Miles. Allerdings lässt sich auch eine starke Einschränkung der politischen Rechte erkennen. Die Umwandlung der ehemaligen Kolonien in französische Departments führte zur Etablierung eines post-kolonialen Verhältnisses. Die "Überseedepartments" wurden vollständig in das französische Administrativ- und Rechtssystem integriert, gemäß "Assimilationsgesetz" von 1946 und der Verfassung der Vierten Republik. Jegliche Souveränität wurde von der Verfassung unmöglich gemacht.  

Laut Serge Mam Lam Fouck, Professor an der Universität von Guyana, sind die Proteste gegen die sozialen Probleme von historischer Bedeutung. Sie seien ein Ergebnis des fundamentalen Widerspruchs zwischen dem politischen Status des Gebiets und der sozialen und wirtschaftlichen Situation. Das Versprechen von 1946, die Wirtschaftskraft des Departments würde mit jener Frankreichs auf gleicher Ebene stehen, wurde nicht eingehalten. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 22 Prozent und die Kriminalitätsrate befinde sich im Steigen. "Die Ungleichheit in der Entwicklung sowie die unzureichende Infrastruktur und die hohe Arbeitslosigkeit vermitteln den Eindruck, Guyana sei das Department einer Republik, die mit dem Prinzip der republikanischen Gleichheit bricht", sagte er.

Die Anwendung und Gültigkeit europäischer und französischer Rechtsstandards außerhalb des europäischen Kontinents werden zudem durch die heimlichen Verhandlungen der französischen Regierung zur Eröffnung einer Goldmine in Französisch-Guyana in Frage gestellt. Das Projekt "Montagne D'Or" soll im Jahr 2018 beginnen und würde verheerende Folgen für Mensch und Umwelt nach sich ziehen. 20 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs würden in die Goldmine fließen. Hinzu kommen die Verschmutzung der Gewässer und die Aufstauung von Millionen Tonnen giftigen Schlamms. Genehmigt die französische Regierung diese Bergbauinitiative könnte die Tür zu weiteren zerstörerischen Großprojekten geöffnet werden, die eine nachhaltige Entwicklung Guyanas erschweren.

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