Erstmals Unternehmer als Komplize der Diktatur in Argentinien verurteilt

Levín arbeitete mit Repressionsapparat zusammen. Verantwortlich für Festnahme und Folterung eines Gewerkschafters. Opfer nennen Urteil historisch

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"Nächste Haltestelle: Gefängnis": Karikatur zum Urteil gegen Transportunternehmer Lévin
"Nächste Haltestelle: Gefängnis": Karikatur zum Urteil gegen Transportunternehmer Lévin

Salta, Argentinien. Das Oberste Gericht der argentinischen Stadt Salta hat den früheren Eigentümer des Transportunternehmens La Veloz del Norte, Marcos Levín, wegen Verbrechen gegen die Menschheit während der zivil-militärischen Diktatur (1976-1983) zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Levín Anstifter der illegalen Festnahme und Folterung des Gewerkschaftsführers Víctor Manuel Cobos war. Als "materielle Täter" wurden drei Polisten verurteilt. Víctor Bocos, der zweite Chef des Kommissariats Nr. 4 von Salta und zugleich Sicherheitsbeauftragter in der Firma Levíns, bekam zwölf Jahre Haft, die beiden anderen Polizisten acht Jahre. Vor der Urteilsverkündung hatten die Angeklagten sich in knappen Statements für "nicht schuldig" erklärt, ihre Verteidiger Freispruch aus Mangel an Beweisen gefordert. Die Verhandlung gegen die vier Männer, die noch in Freiheit sind, hatte im September 2015 begonnen.

Víctor Manuel Cobos, der als Nebenkläger am Prozess beteiligt war, begrüßte die Entscheidung. Die Richter hätten "keine Angst gehabt, ein exemplarisches Urteil zu verhängen. Das zeigt, dass wir Vertrauen in die Justiz haben können. Es geht um einen sehr mächtigen Unternehmer." Für ihn sei dies "Ergebnis von fast 40 Jahren Kampf und Warten".

Cobos, damals Leitungsmitglied der Transportarbeitergewerkschaft, war am 22. Januar 1977 an seinem Arbeitsplatz bei La Veloz del Norte in Salta festgenommen worden. Die drei Polizisten brachten ihn ins Kommissariat und folterten ihn. Lévin hatte dort zuvor eine Liste mit den Namen von 20 Arbeitern übergeben und sie wegen Betruges angezeigt. Daraufhin wurden 16 von ihnen festgenommen und unter Folter gezwungen, Geständnisse abzulegen. Cobos war anschließend drei Monate im Gefängnis. In dem Prozess wurde nur sein Fall verhandelt, die anderen Opfer sagten als Zeugen aus. Ihre Fälle waren zuvor in mehreren Instanzen für verjährt erklärt worden. Eine endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes steht noch aus.

Oscar Rodríguez von der Organisation "Ständige Versammlung der Menschenrechte" nannte die Entscheidung des Gerichts "historisch" und "wegweisend" für weitere Urteilsfindungen in Argentinien. Nebenkläger David Leiva betonte, mit diesem Urteil sei jetzt eine Wahrheit formell festgestellt worden, "die unsere Völker schon kannten – die Komplizenschaft der Unternehmen mit der Militärdiktatur". Lévin habe sich die repressive Struktur zunutze gemacht, um Arbeiter zu disziplinieren und sei von der Diktatur mit Aufträgen begünstigt worden.

Entscheidend im Prozess gegen Lévin waren die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise für seine "Beiträge" zu den Verbrechen unter der Diktatur. Demnach hat er mitgewirkt, die Bedingungen für die Repression zu schaffen. So forderte er bereits vor dem Putsch als Vorsitzender des Transportunternehmerverbandes in den Medien, dass das "Anti-Subversionsgesetz" gegen Gewerkschafter angewendet und Polizei und Militär eingesetzt werden sollen. Später lieferte er der Polizei unter anderem Informationen über Aktivitäten und Wohnorte organisierter Arbeiter und stellte Busse und weitere Fahrzeuge für Entführungen und heimliche Gefangenentransporte zur Verfügung.

Derzeit werden in Argentinien neun Unternehmer wegen ihrer Beteiligung an Diktaturverbrechen gerichtlich verfolgt. Gegen fünf weitere wurden die Ermittlungen eingestellt, dagegen sind Berufungsverfahren der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger anhängig.

Ob das Urteil gegen Lévin auch zu einer Anklage gegen die deutsche Daimler AG führt, ist offen. Mercedes Benz Argentina steht im Verdacht, personenbezogene Daten von Mitgliedern des Betriebsrates an die Militärpolizei weitergegeben zu haben. Schwarze Listen sollen zur Verschleppung und Ermordung von mindestens 14 Arbeitern geführt haben. Wie Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), gegenüber amerika21 erklärte, ist das Urteil gegen Lévin "sehr relevant", werde aber keine unmittelbare Auswirkung auf den Mercedes-Fall haben: "Dieser liegt nach wie vor bei Gericht und droht eingestellt zu werden." Zuletzt hatten die Angehörigen der verschwundenen Arbeiter sich bemüht, die Daimler AG in den USA anzuklagen, sind damit aber gescheitert. "Die Klage wurde letztinstanzlich entschieden und auch das deutsche Strafverfahren ist erledigt. Offen ist der Fall nur noch in Argentinien", so Kaleck, der die Angehörigen vertritt. Auch andere wichtige Verfahren, wie die gegen den argentinischen Konzern Ledesma und den US-Autobauer Ford, stagnierten.

Marcos Levín, dem früheren Eigentümer des Transportunternehmens La Veloz del Norte, gehört das Hotel Alejandro I in Salta. Dort führte Mauricio Macri, damals Kandidat und kurze Zeit später neuer Präsident Argentiniens, im vergangenen November bei seiner Wahlkampagne eine Pressekonferenz durch. Lévin bahnte sich nach Angaben von Beobachtern den Weg durch die zahlreichen Zuhörer, begrüße Macri mit Schulterklopfen und rief laut: "Du wirst Präsident sein!"

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