Santiago de Chile. In Chile hat die linke Abgeordnete Camila Vallejo eine Debatte über Frauen- und Mutterrechte ausgelöst, nachdem sie mit ihrer rund zweijährigen Tochter an einer Sitzung des Parlaments teilgenommen hatte. Der konservative Ex-Abgeordnete Jorge Schaulsohn von der Partei für die Demokratie (PPD) attackierte Vallejo daraufhin über den Kurznachrichtendienst Twitter. Vallejo antwortete umgehend auf die Kritik. Chilenische und lateinamerikanische Medien berichteten ausführlich über den Schlagabtausch, wohl auch, weil die Gegensätze offensichtlich waren: Die ehemalige Studentenaktivistin Vallejo sitzt für die Kommunistische Partei Chiles im Parlament und gehört zu den progressiven Reformkräften. Der Ex-Abgeordnete Schaulsohn wurde im vergangenen Jahr wegen Korruption und der Annahme von Schmiergeldern angeklagt.
Nachdem Vallejo mit ihrer Tochter an einer Parlamentssitzung teilnahm, bezeichnete Schaulsohn dieses Verhalten via Twitter als "unangemessen": "Das hätte nicht erlaubt werden sollen; mit ihren Diäten (Gehalt) hätte sie ein Kindermädchen bezahlen können." Zudem bezeichnete der ehemalige Abgeordnete Vallejos Verhalten als "elitär", weil sie offenbar glaube, sich nicht an Regeln halten zu müssen. "Stellen Sie sich eine Richterin vor, die die Plädoyers mit einem Baby im Arm anhört", so Schaulsohn weiter.
Vallejo reagierte umgehend mit ebenfalls mehreren Postings. "Es wäre nicht nur schön, eine Richterin mit ihrem Baby zu sehen, sondern eben auch einen Richter. Das betrifft nicht nur Frauen." Zu den Vorwürfen des rechten Ex-Abgeordneten schrieb sie, es sei "amüsant, dass mir jemand, der von der Justiz wegen Betrugs angeklagt ist, Ratschläge erteilt, wie ich zu wirtschaften habe und wie ich mich als Mutter zu verhalten habe". Schaulsohn sei ein "verbohrter Macho" und "Frauenhasser". Im Übrigen müsse das Arbeitsrecht in Chile so verändert werden, dass Mütter weiter berufstätig sein können.
Während in rechtsgerichteten Medien Hasskommentare erschienen, bekam Vallejo in Reaktion auf den Schlagabtausch in den sozialen Netzwerken zahlreiche zustimmende Reaktionen. Im Interview mit der Radiostation Biobio pflichtete die Kinderpsychologin Maribel Corcuera der Abgeordneten bei und wiedersprach der Anschuldigung von konservativer Seite, Vallejo würde ihrer Tochter schaden, wenn sie sie mit zur Arbeit nehme. Es sei wichtig, dass Kinder so viel Zeit wie möglich mit der Mutter verbringen, so Corcuera. Es sei "rückständig", dass Frauen auch heutzutage regelrecht um Entschuldigung bitten müssten, wenn sie neben der Arbeit möglichst engen Kontakt zu ihren Kindern pflegen wollten. Ideal wäre es, fügte die Expertin hinzu, wenn Unternehmen Eltern-Kind-Räume einrichten würden.
Hinter der Debatte steht das Problem einer strukturellen Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt Chiles. In dem südamerikanischen Land liegt die Frauenerwerbsquote nach wie vor unter dem regionalen Durchschnitt, obwohl sie nach Angaben der UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) zwischen 2003 und 2012 von 36,6 Prozent auf 47,5 Prozent gestiegen ist. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Quote erwerbstätiger Frauen bei knapp 70 Prozent, wobei viele Frauen teilzeitbeschäftigt sind. Im Fall von Chile führen Experten die niedrige Frauenerwerbsquote auch auf ein konservatives Gesellschaftsbild zurück, das Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Nach einer Umfrage der Organisation Comunidad Mujer und der Interamerikanischen Entwicklungsbank geben selbst 43 Prozent der nicht erwerbstätigen Frauen als Grund die Erziehung von Kindern an.