Priester in Mexiko: Verschwundene Studenten sind tot

Menschenrechtsaktivist Pater Solalinde berichtet über Aussagen von Augenzeugen aus Polizeikreisen. UN-Vertreter kritisiert Regierung

Mexiko-Stadt. Im Fall der 43 verschwundenen Studenten in Mexiko hat der Menschenrechtsaktivist und katholische Prieser Alejandro Solalinde gegenüber internationalen Medien den Tod der jungen Männer bestätigt. "Sie sind alle tot. Einige sind bei lebendigem Leib verbrannt worden", sagte Solalinde der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti und der österreichischen Zeitung Der Standard. Solalinde ist einer der bekanntesten Menschenrechtsaktivisten Mexikos. 2012 erhielt er den nationalen Menschenrechtspreis. Seit 2007 leitet er die Herberge für Migranten "Hermanos en el camino" im Bundesstaat Oaxaca.

Pater Solalinde stützt sich auf vertrauliche Informationen von Studenten, welche die Polizeiangriffe direkt erlebt haben sowie "auf andere Quellen", nämlich Polizisten, die von einem späteren Zeitpunkt berichteten. Diese hätten gesagt, dass einige der verschleppten Studenten verletzt waren, mit Diesel übergossen wurden und bei lebendigem Leib verbrannten. Andere seien bereits tot gewesen und wurden ebenfalls verbrannt. Die Zeugen hätten Angst, umgebracht zu werden, wenn sie sprechen. Die Identität der Zeugen wolle er deshalb nicht preisgeben. Ob die in geheimen Massengräbern gefundenen Leichen die der Studenten sind, könne er nicht sagen.

Für Solalinde waren die Täter nicht Mitglieder der organisierten Kriminalität, sondern nationale Sicherheitskräfte. Die Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto sei längst darüber informiert, wolle aber nichts davon öffentlich bekannt geben. Es gehe ihr mehr um eine politische Entscheidung als um Gerechtigkeit: "Was ist für das System weniger schmerzhaft? Zu sagen, dass sie verbrannt wurden, mit allem, was das impliziert? Oder zu sagen, sie sind verschwunden und man wisse nicht, was passiert ist, weil letzteres weniger schockierend und auch weniger kompromittierend ist, aber es ist schmerzhafter für die Familien, sie in der Hoffnung zu lassen", so Solalinde.

Am vergangenen Montag wollte der Pater seinen schriftlichen Bericht über die ihm zugetragenen Informationen an die Abteilung für organisierte Kriminalität der Generalstaatsanwaltschaft übergeben. Das Schriftstück sei nicht angenommen worden, da angeblich der zuständige Staatsanwalt nicht anwesend gewesen wäre, so Solalinde gegenüber Pressevertretern. Er werde in den nächsten Tagen erneut vorstellig werden, um entweder eine mündliche Aussage zu machen oder das Dokument einzureichen.

Unterdessen haben sich Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam und Innenminister Miguel Angel Osorio zum ersten Mal seit dem Vorfall mit den Eltern der 43 Studenten, deren Anwalt Vidulfo Rosales sowie mit dem Gründer der Menschenrechtsorganisation Tlachinollan, Abel Barrera in Acapulco getroffen, um über den Stand der Suche nach den Studenten zu informieren. Dabei haben die Angehörigen ihrer Forderung wiederholt, dass "die Suche nach den Studenten intensiviert wird und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden". Die Politiker haben den Familien keine konkreten Ergebnisse mitteilen können.

Der Vertreter des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Mexiko, Jesús Peña Palacios, kritisierte die "langsame Reaktion" der mexikanischen Regierung in den ersten 72 Stunden nach der Verschleppung der Studenten scharf: "Die Regierung hat sich nicht an international gültige Suchprotokolle gehalten. Dass es sich um einen Fall von Verschwindenlassen handelt, dafür sprechen drei Gründe: Freiheitsentzug, die Beteiligung von Bundesbehörden beim Freiheitsentzug und die Weigerung, Auskunft über den Verbleib der Opfer bekannt zu geben."

Bei einer Pressekonferenz am Dienstag haben Studenten der Pädagogischen Hochschule "Raúl Isidro Burgos" in Ayotzinapa sich von den gewalttätigen Aktionen in der Hauptstadt Chilpancingo distanziert. Bei einer Protestaktion am Montag hatten unbekannte Personen das Büro des Bürgermeisters von Guerrero, Ángel Aguirre Rivero, in Brand gesetzt. Die Studenten stellen auch klar, dass sie bis zum aktuellen Zeitpunkt keinen Kontakt mit Pater Solalinde hatten. Für die Eltern der Opfer wäre es besser gewesen, wenn der Pater zuerst mit ihnen gesprochen hätte, statt mit den Medien.

Die Studenten kündigten an, dass sie die Besetzungen in 20 Gemeinden Guerreros aufrechterhalten sowie die wichtigsten Autobahnen der Region blockieren. Gleichzeitig haben zahlreichen Universitäten im ganzen Land für den heutigen Mittwoch Streiks, Straßenblockaden sowie andere Solidaritätsaktionen angekündigt. Die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) hat sich den Aktionen ebenfalls angeschlossen.

Generalstaatsanwalt Murillo Karam gab am gestrigen Mittwoch bekannt, dass gegen den Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, seine Ehefrau María de los Angeles Pineda und den örtlichen Sicherheitschef Felipe Flores Haftbefehl erlassen wurde. Sie seien verantwortlich für das Verschwinden der Studenten. Abarca habe am 26. September den Befehl gegeben, die Studenten anzugreifen. Er und seine Frau stünden in enger Beziehung zur kriminellen Bande Guerreros Unidos und seien untergetaucht.

Bislang wurden in diesem Fall 52 Personen festgenommen worden, darunter Polizisten, Beamte der Lokalverwaltung und Mitglieder der Guerreros Unidos, so Murillo Karam.