NGO-Tribunal verurteilt Regierung in Mexiko

200 Organisationen fordern bei "Ständigen Völkertribunal" Gerechtigkeit für Verschwundene und Mordopfer

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Beim Tribunal in Michoacán
Beim Tribunal in Michoacán

Santa Fe de la Laguna, Michoacán, Mexiko. Am vergangenen Wochenende sind in der indigenen Gemeinde Santa Fe de la Laguna im mexikanichen Bundesstaat Michoacán rund zweihundert Vertreter von Menschenrechtsgruppen und sozialen Organisationen zur abschließenden Sitzung des Ständigen Völkertribunals (Tribunal Permanente de Los Pueblos) zusammen, um ein Ende der Menschenrechtsverletzungen in Mexiko durch Sicherheitskräfte des Staates und kriminelle Gruppen zu fordern.

Unter dem Motto "Für ein Recht auf Leben. Gegen Gewalt und Staatsterror" versammelten sich sowohl Aktivisten als auch Betroffene auf dem Marktplatz der kleinen Ufergemeinde zur Anhörung von insgesamt siebzehn Fällen von gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Mexiko. Darunter befanden sich Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen, illegale Verhaftungen, Vertreibung und Mord.

Zu den exemplarischen Fällen, die während der zweitägigen Anhörungen behandelt wurden, gehören sowohl ältere Vorkommnisse wie dem Massaker von Acteal im Jahre 1997 im Bundesstaat Chiapas, als auch neuere Menschenrechtsverletzungen wie in Atenco im Bundesstaat Mexiko 2006. In beiden Fällen waren staatliche Sicherheitskräfte an Tötungsdelikten und Entführungen von Aktivisten beteiligt. Zudem konnten auch Vertreter der gastgebenden indigenen Gemeinde der Purépecha in Santa Fe de la Laguna Mordfälle an Bewohnern ihrer Gemeinde durch Paramilitärs vortragen.

Zur juristischen Aufarbeitung der Fälle begleiteten insgesamt sieben nationale und internationale Richter das Tribunal, in dessen Rahmen die Betroffenen ihre Fälle vortragen konnten. Zu den Zeugen gehörte auch Beatriz Torres Abelaira von der Nationalen Autonomen Universität Mexiko-Stadt (UACM) und der kolumbianische Anwalt und Menschenrechtsspezialist Alberto León Gómez Zuluaga.

Torres Abelaira betonte während der Anhörungen das Fortbestehen von Menschenrechtsverletzungen in Lateinamerika seit dem 16. Jahrhundert bis heute: "Es ist kein neues Phänomen", sagte sie während der Audienz am vergangenen Samstag und hob die Brisanz der Gewalt in Mexiko vor.

In ihrem "Urteil" kritisierten die Juristen die Beteiligung von mexikanischen Regierungen an Menschenrechtsverletzungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart: "Das Ständige Völkertribunal verurteilt den mexikanischen Staat aufgrund der durch Funktionäre und andere Akteure des Staates indirekt oder direkt begangenen Menschenrechtsverbrechen, repressives Handeln gegenüber sozialen Bewegungen unter Außerachtlassung der Rechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit." Hierzu beriefen sich die Richter zudem auf die Vielzahl von Menschenrechtsabkommen, die der mexikanische Staat unterzeichnet hat und forderten deren Umsetzung.

Für die Organisation des diesjährigen Tribunals zeichneten unter anderen die Menschenrechtsorganisation Comité Cerezo veranwortlich, die zuletzt in ihrem Bericht über "Menschenrechtsverletzungen an Menschenrechtsaktivisten" eine negative Bilanz der Menschenrechtssituation in Mexiko seit dem Amtsantritt von Präsident Enrique Peña Nieto im Dezember 2012 festhielten. Insbesondere in strukturschwächeren Bundesstaaten wie Guerrero und Michoacán sei die Lage nach wie vor prekär.

Am Samstag musste überdies die Anhörung zur Bekanntgabe eines aktuellen Falls von Polizeigewalt im Bundesstaat Guerrero unterbrochen werden. Dort werden in Folge eines gewaltvollen Polizeieinsatzes insgesamt 57 Studenten vermisst. Dagegen gingen seit Montag tausende Kommilitonen in der Hauptstadt Chilpancingo auf die Straße und fordern von der Regierung Aufklärung. Hierbei kam es zu Auseinandersetzungen zwischen örtlichen Polizeikräften und Demonstranten.

Das Permanente Völkertribunal hatte sich erstmals Ende der 1960er Jahre als zivilgesellschaftlicher Protest gegen Kriegsverbrechen der USA in Vietnam konstituiert.