Menschenrechtsverstöße in Venezuela?

US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch übt scharfe Kritik an Venezuela. Aktivisten beklagen hingegen Instrumentalisierung der Menschenrechte

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Molotowcocktails gegen die Nationalgarde: Szene während der Proteste gegen die Regierung in Venezuela
Molotowcocktails gegen die Nationalgarde: Szene während der Proteste gegen die Regierung in Venezuela

Washington. Venezolanische Sicherheitskräfte haben laut einem Bericht der US-Amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) rechtswidrig Gewalt gegen regierungskritische Demonstrationen angewendet. Der 103 Seiten umfassende Bericht unter dem Namen "Bestraft für den Protest: Rechtsverletzungen auf den Straßen, in den Haftanstalten und im Justizsystem Venezuelas" gibt an, 45 Fälle aus Caracas und drei weiteren Bundesstaaten zu dokumentieren, in denen die Rechte von Protestierenden und anderen Menschen im Umfeld von Demonstrationen verletzt worden seien. Die Sicherheitskräfte werden beschuldigt, unbewaffnete Demonstranten aus nächster Nähe geschlagen, beschossen sowie nach Festnahme schwerer physischer und psychischer Gewalt bis hin zur Folter ausgesetzt zu haben. Der Justiz wird außerdem vorgeworfen, die Prozessrechte der Häftlinge nicht eingehalten zu haben.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass neben dem rechtmäßigen Vorgehen gegen Gewalt seitens der Protestierenden, die unter anderem Steine und Molotowcocktails auf Sicherheitskräfte geworfen hatten, unverhältnismäßige Gewaltanwendung stattgefunden habe. Dies sei insbesondere abseits der Proteste geschehen, als die betreffenden Personen bereits vollständig unter Kontrolle der Sicherheitskräfte gewesen seien. Die Art und der Zeitpunkt vieler "Missbräuche", wie auch die häufigen politischen Verlautbarungen der Täter, lägen nahe, "dass ihr Ziel nicht war, das Gesetz durchzusetzen oder die Proteste aufzulösen, sondern um die Menschen für ihre politischen Ansichten zu bestrafen", so HRW. In den meisten Fällen seien laut dem Bericht Missbrauchsopfer willkürlich festgenommen und für 48 Stunden oder länger festgehalten worden. Währenddessen seien sie Missbrauch ausgesetzt gewesen. In zehn Fällen glaubt Human Rights Watch, dass die angewendeten Maßnahmen als Folter bezeichnet werden könnten.

Der Leiter der amerikanischen Abteilung von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, vermutet hinter den Rechtsverstößen "nicht nur isolierte Einzelfälle, oder Exzesse einiger Schurken", sondern "ein alarmierendes Muster". Dies seien die schlimmsten Verbrechen dieser Art in Venezuela seit Jahren.

Obwohl nach Angaben der venezolanischen Generalstaatsanwaltschaft zur Zeit 145 Ermittlungen gegen Menschenrechtsverstöße laufenund bereits 17 Sicherheitskräfte wegen ihrer angeblichen Beteiligung in diesen Fällen festgenommen worden sind, hält Vivanco es "angesichts der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz in Venezuela" für schwierig, "zu erwarten, dass die Menschen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden". Er fordert die venezolanische Regierung dazu auf, die UN-Menschenrechtsbeobachter und dem UN-Sonderberichterstatter für Folter einzubeziehen und die "Unabhängigkeit der Justiz" durch die Wahl neuer Richter in den Obersten Gerichtshof zu sichern.

Eine Gruppe venezolanischer Menschenrechtsaktivisten, die sich für ein entschiedenes Vorgehen gegen die Menschenrechtsverstöße und für eine friedliche Lösung des Konfliktes einsetzt, beklagte in einer öffentlichen Erklärung indes die Instrumentalisierung der Menschenrechte. Sie fordert internationale und nationale Medien sowie die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen dazu auf, "bei ihrer Beobachtung der gegenwärtigen Lage in Venezuela ausgewogen und neutral vorzugehen und Sachverhalte zu prüfen und es zu unterlassen, durch Manipulation von Fakten die Standpunkte derjenigen zu stützen, die zum gewaltsamen Protest ermutigen, um verfassungswidrige und mit demokratischen Grundsätzen unvereinbare Ziele zu verfolgen".

In der Erklärung weisen die Menschenrechtsaktivisten auf die offensichtlichen Maßnahmen hin, "die von verschiedenen staatlichen Einrichtungen zur Eindämmung des gewaltsamen Protests und zur Unterbindung von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte getroffen wurden" und stellen sich gegen die These einer systematischen und weit verbreiteten Politik der Menschenrechtsverletzungen. "Wir lehnen es ab, dass Menschenrechte weiterhin zu anderen Zwecken instrumentalisiert werden als zu ihrem Schutz und ihrer Achtung, so wie es in der jetzigen Situation versucht wurde", so die Aktivisten weiter.

Die Aussagen von HRW, etwa zur angeblichen medialen Zensur, werden seit langer Zeit von der Opposition gegen die venezolanische Regierung aufgegriffen. Dadurch ist das Verhältnis zwischen der Staatsführung in Caracas und der US-amerikanischen HRW sehr angespannt. Die venezolanische Regierung wirft HRW seit Jahren einen politischen Umgang mit dem Menschenrechtsthema vor. In diesem Zusammenhang war HRW-Vertreter Vivanco im Jahr 2008 des Landes verwiesen worden.

Um dem herrschenden internationalen Medienbild entgegenzutreten, hat die venezolanische Regierung inzwischen einen Rat für Menschenrechte ins Leben gerufen, der das Vorgehen von Staatsorganen und Nichtregierungsorganisationen in diesem Bereich verbessern soll.