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Guantánamo: Warnschüsse gegen Hungerstreikende

Gefangene gewaltsam in Einzelhaft verlegt. NGO weist nach: Folter wird in "vielen Fällen" und in "vielen Szenarien" angewandt

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Gefangene in Guantánamo
Wird das extralegale US-Gefangenenlager in Guantánamo bald geschlossen?

Washington/Guantánamo Bay (Kuba). Um den seit Februar andauernden Hungerstreik im Gefangenenlager in der US-Marinebasis Guántanamo auf Kuba zu beenden, sind die Inhaftierten nun unter Anwendung von Gewalt in Einzelhaft verlegt worden. Von offizieller Seite wurde diese Entscheidung damit begründet, den Gesundheitszustand der seit 68 Tagen Hungerstreikenden besser überwachen zu können. Bei dem Versuch, diese Einzelhaft durchzusetzten, kam es jedoch zu Widerstand seitens der Gefangenen. Diese verteidigten sich mit "selbstgefertigten Behelfswaffen", so die Gefängnisverwaltung. Daraufhin wurden "vier nicht tödliche Schüsse auf die Inhaftierten abgegeben, um die Sicherheit im Gefangenenlager aufrecht zu erhalten".

Cindy Panuco, Anwältin einiger Gefangener, zweifelt diese Darstellung der Geschehnisse jedoch an. Ihrer Ansicht nach ist es "unwahrscheinlich", dass die Gefangenen solche Waffen überhaupt besitzen können, da ihnen außer einem Stift kaum etwas an Besitz gelassen wird, um Waffen anzufertigen. Ebenso unwahrscheinlich sei es bei der Vielzahl an Zellendurchsuchungen, dass die Gefangenen diese vor den Wärtern hätten verstecken können. Panuco ist vielmehr davon überzeugt, dass die Verlegung der Gefangenen in Einzelhaft ein weiteres Mittel darstellt, um den Willen der Streikenden zu brechen. In den vergangenen Wochen waren immer wieder Stimmen laut geworden, die der Gefängnisverwaltung vorwerfen, die Temperaturen in den Zellen absichtlich niedrig zu halten, um den Streikwillen zu brechen. Eben diese Handlungsstrategie sieht Panuco auch in den aktuellen Aktionen: "In Einzelhaft ist es wesentlich schwieriger, den Streikwillen aufrecht zu erhalten, weil der Austausch und die gegenseitige Unterstützung" fehlen, sagte sie in einem Interview mit dem russischen Fernsehsender Russia Today.

Diese Verschärfung spielte sich nur zwei Tage nach dem Besuch des Gefangenenlagers durch das Internationale Rote Kreuz ab. Dessen Vertreter hatten sich vor Ort über den Gesundheitszustand der Inhaftierten und die Haftbedingungen informiert. Simon Schorno, Pressesprecher des Roten Kreuzes stellte in einem abschließenden Interview klar, dass die Priorität seiner Organisation nicht in der Schließung des Gefangenenlagers liege. Vielmehr solle in Gesprächen mit der US-Regierung erreicht werden, dass der rechtslose Zustand der Gefangenen in Guantánamo beendet und ihnen die Möglichkeit einer Gerichtsverhandlung mit Verurteilung oder Freilassung ermöglicht wird. Größtes Hindernis auf diesem Weg sei derzeit der US-Kongress, so Schorno. Während von Seiten des Präsidenten weiterhin der Wille bestehe, Guantanamo zu schließen, mache es der Kongress mit Gesetzen zusätzlich schwieriger, Inhaftierte in den USA vor Gericht zu stellen sowie bereits frei Gesprochene zu entlassen.

Gleichzeitig hat zu Beginn der Woche das Constitution Project, eine Nichtregierungsorganisation bestehend aus Anwälten und Politikern, den "truth commission report" aufgestellt. Die Autoren des 600 Seiten starken Reports heben hervor, dass es "keine Rechtfertigung für Folter jeglicher Art seitens der USA gibt". Erstmals ist damit ein fundiertes Dokument öffentlich gemacht worden, das sich auf umfangreiche empirische Untersuchungen bezieht. Dabei wird vor allem hervorgehoben, dass Folter nicht nur in dem von der Regierung zugegebenen Maß angewendet wird, sondern durch sich überschneidende Berichte von Gefangenen in Afghanistan, Irak und Guantánamo verifiziert ist, dass Methoden wie "waterboarding", Schlafentzug, erhöhte Stresszufuhr und anderes, in "vielen Fällen" und in "vielen Szenarien" angewendet wird. Die Autoren des Reports betonen, dass der Anspruch der USA, "keine Folter anzuwenden", klar verletzt wird. Diese "gravierenden Fehler" offenzulegen und damit einen ersten Schritt in Richtung Wiedergutmachung zu leisten, sei Ziel des Reportes, so die Autoren abschließend.