Venezuela

Vereinte Sozialistische Partei uneins

Venezuela: Abgeordneter Luis Tascón gründet neue Gruppierung. "Neuer Revolutionärer Weg" soll Auffangbecken werden

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Vereinte Sozialistische Partei uneins
Auf dem revolutionären Weg? - PSUV-Dissident Luis Tascón

Caracas. Der Streit in der neuen Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) um Einfluss und Ämter hat seinen bisherigen Höhepunkt erreicht. Trotz der Androhung eines Parteiausschlusses bei einseitiger Bekanntgabe einer Kandidatur für die Regionalwahlen im November haben drei Parlamentarier und ein Bürgermeister in der vergangenen Woche entsprechende Kampagnen gestartet. Dafür bekamen sie jetzt die Quittung: Die bisherigen PSUV-Abgeordneten Wilmer Pérez, Luis Díaz und Luis Azuaje sowie der Bürgermeister der Stadt Barquisimeto, Henry Falcón, sind mit sofortiger Wirkung aus der PSUV ausgeschlossen worden. Das teilte PSUV-Vize Alberto Müller-Rojas am Dienstag vergangener Woche nach einem Treffen der neuen Gruppierung mit. Jedes Parteimitglied habe das Recht auf eine Bewerbung, so Müller-Rojas. Ein Vorschlag der Parteibasis sei aber zwingende Voraussetzung.

Der prominente Parlamentsabgeordnete Luis Tascón gab in der vergangenen Woche ebenfalls bekannt, an den Wahlen teilzunehmen. Er kandidiert für das Bürgermeisteramt in Caracas. Einen Ausschluss muss er deswegen nicht fürchten, denn Tascón war Anfang des Jahres bereits aus der PSUV geflogen. Anlass waren damals Korruptionsvorwürfe Tascóns gegen Parteigenossen. Die Streitigkeiten in der PSUV wachsen sich inzwischen zu einer Bedrohung für das ganze Parteiprojekt aus. Zwar hatten sich zunächst verschiedene Strömungen mit Millionen Mitgliedern zusammengeschlossen. Doch trotz aller Appelle zur "revolutionären Disziplin" bestimmen seitdem Richtungskämpfe das Bild.

Tascón gab Anfang der Woche nun sogar die Gründung einer eigenen Partei bekannt. Mit dem "Neuen Revolutionären Weg" (NCR) will er bei der bevorstehenden Regionalwahl im November antreten. Sein Projekt könnte von den Ausschlüssen aus der PSUV profitieren: Zwei der gerade Verbannten, Wilmer Pérez und Luis Díaz, erklärten sich schon bereit, die neue NCR mit aufzubauen. Mit ihnen und weiteren Dissidenten strebt Tascón eine "alternative Fraktion" im Parlament an. Bislang hat das Lager von Präsident Chávez dort die überwiegende Mehrheit inne.

Dafür will Tascón auch die Parlamentarier Pedro Bastidas und Miguel Rojas mit ins Boot holen, die von der PSUV zu der neu gegründeten Grünen Partei gewechselt waren. Die venezolanischen Grünen waren im vergangenen Herbst aus der ökologischen Bewegung hervorgegangen. Dieses Bündnis könnte die Kandidatur des bisherigen Bürgermeisters von Barquisimeto für den Gouverneursposten im Bundesstaat Lara unterstützen, sagte Tascón. Zugleich rief er alle unzufriedenen bisherigen Mitglieder der MVR zum Übertritt in seine neue Organisation auf.

Somit ist eher das Gegenteil von dem eingetreten, was Präsident Chávez mit der PSUV-Gründung beabsichtigt hatte: Es gibt mehr Gruppierungen als vorher und weniger innerhalb des chavistischen Bündnisses, wobei sich Tascón bisher nicht direkt gegen Chávez denn gegen sein "bürokratisches und korrupten" Umfeld wendet. Andere Kräfte wie die sozialdemokratische Partei Podemos oder der ehemalige Vertraute des Präsidenten und General a. D. Raúl Baduel treten heute offen gegen Chávez auf. Sie hatten sich im Vorfeld des gescheiterten Referendums zur Verfassungsreform gegen die Pläne des Staatchefs gestellt, den Sozialismus in der Verfassung zu verankern.

Brisanterweise war der nun ausgeschlossene Luis Azuaje einer der schärfsten Vertreter einer harten Linie gegen Korruption und wandte sich in diesem Zusammenhang öffentlich gegen zwei Brüder von Präsident Hugo Chávez (Argenis und Narciso Chávez) im südwestlichen Bundesstaat Barinas. Die Vorwürfe werden seit Ende März vom Parlament untersucht. Allerdings gibt es auch Anschuldigungen gegen Azuaje, der ausgerechnet in Barinas für das Amt des Gouverneurs kandidieren will. Bei seiner Wahlkampagnenfinanzierung soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. So vermutet auch Mario Isea, Fraktionsvorsitzender des sozialistischen Blocks, der PSUV-Parlamentsfraktion, dass Azuaje mit seinen Vorwürfen nur Aufmerksamkeit für seine Kandidatur haben wollte.

Auch Tascón wird international - von der spanischen Tageszeitung El País bis hin zur Deutschen Welle - als Vorzeige-Kritiker der Korruption innerhalb des Chavismus präsentiert. Seine genauen Absichten aber bleiben unklar. Seine Popularität, die er schon durch aggressives und medienwirksames Vorgehen in der Vergangenheit erlangte, will er jetzt nutzen, um für das Bürgermeisteramt in Caracas zu kandidieren.

Doch die Lancierungen von Kandidaturen sind auch Ausdruck der bestehenden Ungeduld: Während die Opposition schon seit Wochen öffentlich diskutiert, welche potentiellen Kandidaten antreten sollten, hörte man bisher aus den Reihen der PSUV nichts dergleichen. Dass dies positiv sei, sagt Präsident Chávez, und wird dabei von Basisaktivisten unterstützt. Vor der Bekanntgabe von Kandidaturen soll die Basis bis Juni Zeit bekommen, um Kandidatenvorschläge zu unterbreiten. Doch gerade dies stößt einigen Funktionären auf, die offensichtlich nicht viel von Basisdemokratie in der PSUV halten und Angst vor Machtverlust haben.


Ein Teil des Textes erschien in der Tageszeitung junge Welt unter dem Titel Parteiausschlüsse überschatten Wahlkampf.