Venezuela

Demokratischer fernsehen

Der öffentlich-rechtliche TV-Sender TVES nimmt Vertreter von Zuschauern und Produzenten in den Vorstand auf

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Demokratischer fernsehen
Schön bunt und demokratisch: TVES hat, was hier in der Glotze fehlt

Caracas. In der Leitung des staatlichen venezolanischen TV-Senders Soziales Venezolanisches Fernsehen (TVES) werden künftig Publikumsvertreter und unabhängige Medienproduzenten vertreten sein. Am Sonntag stellte der Vizepräsident des Landes, Jorge Rodríguez, vier neue Mitglieder der Sendeleitung vor. Nach Angaben des Senders wurden die neuen Repräsentanten von Mediennutzern und -produzenten gewählt. TVES ist damit der erste Sender Lateinamerikas, der ein solches Vertretermodell etabliert hat. Bislang besteht der Vorstand aus fünf Personen.

América de Paez und Julio Blanco wurden für die Komitees der Mediennutzer in den Vorstand gewählt. Für die unabhängigen Medienproduzenten werden künftig Antonio Albanesse und Lino Roa in dem Leitungsgremium vertreten sein. "Das Soziale Venezolanische Fernsehen wird damit der erste Kanal, der die demokratische Teilhabe derjenigen Gruppen und sozialen Organisationen sicherstellt, über die er berichtet", schreibt die staatliche Nachrichtenagentur ABN.

TVES hat am 28. Mai dieses Jahres sein Sendebetrieb aufgenommen. Betreiber ist die öffentlich-rechtliche Venezolanische Soziale Fernsehstiftung. Sie ist dem Kommunikations- und Informationsministerium angeschlossen, jedoch autonom organisiert. Die medienpolitische Initiative und die Startfinanzierung kamen von der Regierung des Landes. Sie legte aber ebenso wie die Sendeleitung Wert darauf, dass sich TVES mittelfristig als autonomer Sender etabliert.

Dabei hatte die Gründung Ende Mai zu Kontroversen geführt. Denn TVES trat das Erbe des umstrittenen Privatsenders RCTV an. Die Leitung dieser Sendeanstalt hatte seit der Wahl der linken Regierung von Hugo Chávez konsequent oppositionelle Meinungen verbreitet. Das politische Engagement des RCTV-Trägers und Medienkonzerns BC1 ging so weit, dass Unternehmen und Sender im April 2002 einen Putschversuch unter Federführung rechter Militärs und Unternehmer unterstützte. Regierung und Telekommunikationsbehörde entschieden deswegen, die Nutzungsrechte für einen staatlichen Sendekanal, der RCTV zuletzt für 20 Jahre zur Verfügung standen, nicht zu verlängern. Die Lizenz ging an den neu gegründeten Sender TVES über, der die venezolanische Medienlandschaft demokratisieren soll.

Vor allem will der Sender unabhängige venezolanische Produktionsfirmen stärken. Vermieden werden soll so, dass Sendeinhalte wie in der Vergangenheit ausschließlich auf dem internationalen, also US-amerikanischen Markt angekauft werden. Mit der neuen Sendepolitik werde die kulturelle Vielfalt des Landes vom Medium adäquat wiedergegeben, mein Lil Rodriguez, die Direktorin des Senders, die schon erste Erfolge auszumachen meint: "Die kommerziellen Sender sehen sich verpflichtet, qualitativ und quantitativ mehr nationale Produktionen ins Programm aufzunehmen."

Andere Beobachter sind in der Zwischenbilanz skeptischer. Nach einem Bericht der spanischen Tageszeitung El País, die gegenüber der venezolanischen Regierung einen kritischen Kurs fährt, sind die Einschaltquoten im September auf 4,6 Prozent gefallen. Das Blatt berief sich dabei auf das Medienforschungsunternehmen AGB Panamericana. Nach dessen Erkenntnissen konnte der neue Sender kurz nach Programmstart von den Übertragungsrechten für die Copa América profitieren. Bis zu neun Prozent der Zuschauer TVES schalteten in diser Zeit TVES ein. RCTV hatte zuvor einen Marktanteil von 30 Prozent.

Die BC1-Führung strengt indes rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Regierung an. Am Dienstag forderte Konzernchef Marcel Granier den Obersten Gerichtshof (TSJ) in Caracas auf, wegen der Übernahme der von RCTV genutzten Sendeanlagen durch TVES Ermittlungen in die Wege zu leiten. Am 26. Mai waren auf Weisung des TSJ die insgesamt 48 Sendetürme von der Nationalgarde besetzt worden. Zuvor war von Regierungsgegnern angekündigt worden, die Anlagen zu besetzen.

Granier erhebt nun Anspruch auf die Anlagen, die er als Eigentum des Konzerns bezeichnet und deren Wert er auf umgerechnet 100 Millionen US-Dollar beziffert. Tatsächlich waren die Anlagen 1969 von BC1 für RCTV errichtet worden. 1973 wurden sie aber nationalisiert, weil sie auf staatlichem Boden erbaut worden waren. Auf diese Entscheidung berief sich der TSJ Ende Mai.


Die Internetseite von TVES finden Sie hier.