Ecuador / Politik

Wahlen in Ecuador: Die Rechte mit dem Lasso um den Hals

Das Land befindet sich wieder im Kampf zwischen einer hartnäckigen Rechten ‒ und progressiven Kräften, die zeigen wollen, dass es möglich ist, Ecuador erneut zu verändern

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X-Header-Bilder: Noboa "Für ein neues Ecuador" - González "Zum Wohle aller"  (Kollage)
X-Header-Bilder: Noboa "Für ein neues Ecuador" - González "Zum Wohle aller" (Kollage)

Der aktuelle ecuadorianische Präsident Guillermo Lasso hatte das Parlament aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen für August 2023 ausgerufen, um einem Amtsenthebungsverfahren aufgrund von Veruntreuung zu entgehen, das im bis dahin von der Opposition dominierten Parlament Erfolg gehabt habe dürfte.

Im ersten Wahlgang erhielten Luisa González, progressive Vertreterin für die Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution), und Daniel Noboa, Vertreter der politischen und wirtschaftlichen Rechten Ecuadors, die meisten Stimmen.

Am 15. Oktober wird nun in einer Stichwahl entschieden, wer in den Regierungssitz im Palacio de Carondelet einzieht.

Lasso bediente sich eines verfassungsgemäßen Verfahrens, das "muerte cruzada"1 genannt wird. Es erlaubt dem Präsidenten, außerordentliche Neuwahlen anzusetzen, und zwar nicht nur für das Amt des Präsidenten, sondern auch für das des Vizepräsidenten und für die Nationalversammlung.

Diese Entscheidung hatte zweierlei zum Ziel: Einerseits will Lasso so einer schmählichen Demütigung entgehen, andererseits soll mittels einer ausgeklügelten politisch-medialen Kampagne gegen den Correismus verhindert werden, dass die Kandidatin Luisa González und damit eine Vertreterin des Lagers des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa an die Macht gelangt. Und mithilfe ihrer üppigen wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Mittel sowie den Medien, die sich größtenteils in den Händen der Rechten befinden, soll der Kandidat der Allianz Acción Democrática Nacional (Nationaldemokratische Aktion), Daniel Noboa, ins Amt gehievt werden. Er wurde in Miami geboren und hat sowohl die ecuadorianische als auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, außerdem ist er der Sohn des Multimilliardärs und fünffachen Präsidentschaftskandidaten Álvaro Noboa.

Insgesamt sind 13,4 Millionen Ecuadorianer wahlberechtigt, sie werden entscheiden müssen, wer dem Banker Lasso nachfolgt und die Amtszeit 2021–2025 vollendet, die durch die vorgezogenen Neuwahlen unterbrochen wurde.

Wahlprognosen, Meinungsumfragen und Beratungsunternehmen zufolge wird es ein enges Rennen werden.

Bei der Präsidentschaftsdebatte am 1. Oktober wurde deutlich, dass es den Ecuadorianern in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise um Sicherheit geht, insbesondere vor dem Hintergrund der starken Durchdringung der Gesellschaft seitens der Drogenkartelle. Diese Krise hatte unter anderem den Mord am Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio vom Movimiento Construye (Bewegung Aufbau) am 9. August zur Folge und die USA haben eine Belohnung von fünf Millionen US-Dollar für Hinweise auf den Aufenthaltsort des Mörders oder der Mörder ausgesetzt.

Die Belohnung hatte US-Außenminister Antony Blinken als "Zeichen unseres Bekenntnisses zu Gerechtigkeit und als Beitrag zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität" angekündigt. Diese Maßnahme hat für großes Staunen gesorgt, da es unerklärlich ist, dass eine ausländische Macht Geld wegen der Ermordung eines Politikers aus einem Land bietet, das tausende Kilometer von Washington entfernt ist. Und sie hat Misstrauen hervorgerufen hinsichtlich der Interventionen der US-Botschaft in Ecuador gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen, die mit Noboa und generell mit dem rechten Lager in Verbindung stehen und die ihre Präferenzen, Meinungen und politische Unterstützung auf diesen Sektor ausgerichtet haben, um den Sieg des Correismus zu verhindern.

Luis Carlos Córdova, Experte für Sicherheit, äußerte in ecuadorianischen Medien: "Die Entscheidung aus Washington ist eine Reaktion auf Lassos USA-Besuch, bei dem er mit 13 republikanischen Kongressabgeordneten zusammen gekommen ist, die sich für Militäreinsätze gegen mexikanische Drogenkartelle aussprechen und den US-Präsidenten Joe Biden für den gescheiterten Kampf gegen die organisierte Kriminalität wegen der Fentanyl-Krise verantwortlich machen.“

Ex-Präsident Rafael Correa sieht in dem Aussetzen einer Belohnung eine Verschwörung der ecuadorianischen und kolumbianischen Polizei gemeinsam mit den USA, mit dem Ziel, die Bürgerrevolution vor den anstehenden Wahlen und ebenso den kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro zu schwächen.

In der Debatte am 1. Oktober zeigte sich die Kandidatin González in ihren Antworten zum Thema Migration souverän und selbstbewusst und betonte, dass sie nicht unter dem Einfluss des ehemaligen Präsidenten Correa stehe, denn sie sei es, die Präsident sein werde.

Migration, soziale Sicherheit, Beschäftigung, Außenbeziehungen mit größerer Unabhängigkeit, Achtung der Selbstbestimmung der Völker, Sorge um Beschäftigung, Behinderung und Frauenrechte waren einige der Themen, die Luisa González gegenüber einem jungen Noboa vortrug, der bei Fragen der internationalen Beziehungen zögerte und Handelsbeziehungen mit Russland ablehnte, ein deutliches Zeichen seiner Angst vor dem Druck aus Washington.

Beim Thema Gesundheit standen die Vorschläge von Noboa, der keinerlei Erfahrung in der Arbeit mit dem Staat hat, im Gegensatz zu denen von González, die viel Regierungserfahrung hat. Sie forderte die Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens in Bezug auf Humanressourcen, technologische Ausrüstung, Infrastruktur und Zugang zu Medikamenten für die Bevölkerung.

Sie sprach sich ebenfalls für die Verringerung sozialer Ungleichheit aus und betonte die Notwendigkeit einer Bildungsreform, der Bekämpfung von Korruption in den Regierungsetagen sowie einer Lösung für das Kriminalitätsproblem im Land. In der breit gefächerten Debatte zeigte sich González klarer, präziser und mit überzeugenderen Antworten als Noboa, der auf hochtrabende Phrasen setzte.

Das wiederum hat die mit der Rechten verbundenen Medien aufgeschreckt, die versuchten, die Ergebnisse der Debatte in dem Sinn zu verfälschen, dass der Kampf erbittert geführt werde. So soll davon abgelenkt werden, dass die Kandidatin der Bürgerrevolution die Verbindung der Rechten mit den USA offengelegt hat.

Im Bereich Sicherheit will González zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität die ecuadorianische Polizei mit zusätzlichen 500 Millionen Dollar unterstützen und auf Verbrechenskontrolle setzen, was wiederum bedeute, die Kontrolle über Gefängnisse, Wasserstraßen, Häfen und Flughäfen zurückzugewinnen und den Zoll militärisch zu unterstützen. Zudem müsse die Justiz reformiert werden, die zur Geisel Krimineller und derjenigen geworden sei, die die wirtschaftliche Macht im Land haben.

González erklärte, die Rechte wolle "zu dem zurückkehren, was sie bereits getan haben. Und wir Arbeiter erinnern uns daran, was die Rechten getan haben: Sie haben den staatlichen Beitrag von 40 Prozent für die Altersversorgung abgeschafft und die Finanzkrise verursacht, die wir jetzt haben, zusätzlich zu dem betrügerischen Umgang mit Regierungsgeldern und der Korruption, die zu einem Verlust von mehr als 9,2 Milliarden Dollar geführt haben."

Noboa wiederholte die Argumente aus seiner Wahlkampagne: Er wolle die unterschiedlichen Gruppen des organisierten Verbrechens eindeutig klassifizieren und bei ihrem Namen nennen, es handele sich um Terroristen aus dem Drogenmilieu und nicht um städtische Banden, wie Correa-Anhänger meinten. Für Noboa ist die Anschaffung von Waffen und Ausrüstungsgegenständen daher von grundlegender Bedeutung für eine umfassende Repression. Zudem brauche es Satellitenüberwachungssysteme, militärische Präsenz auf den Straßen und am Zoll sowie Grenzüberwachungssysteme.

Hier kommt eine Sorge ins Spiel, die sich durch unsere südamerikanischen Länder zieht: die Sicherheit der Bürger auf den Straßen, in den Parks, auf den Plätzen und an anderen öffentlichen Orten, die auch die Entstehung eines zutiefst faschistischen Diskurses bei den vorgeschlagenen Lösungen hervorbringt ‒ und keine Lösungen mit Bürgerbeteiligung, mit Gesprächen, sicherlich mit Fortschritten und Rückschlägen, aber ohne Peitsche, Schlagstock und Wasserwerfer gegen Demonstranten

Bisher war die Einflussnahme der USA eindeutig zu Noboas Gunsten, mit Interventionen, die hauptsächlich und klassischerweise von den diplomatischen Vertretern befreundeter Länder vorgenommen wurden, die sich vollständig zugunsten der ecuadorianischen Rechten gewendet haben.

Wie in vielen anderen Ländern hat die US-Regierung mithilfe von Nachrichtendiensten, Nichtregierungsorganisationen und Studienzentren dafür gesorgt, dass US-Schiffe in all unseren Häfen ankern. Länder werden politischen und sozialen Experimenten unterworfen, um jene Regierungen zu stürzen, die den USA nicht bedingungslos ergeben sind und die Durchsetzung ihrer Interessen auf dem Kontinent verhindern.

Die US-Regierung unterstützt Noboa und die ecuadorianische Elite im Allgemeinen wirtschaftlich, aber auch politisch, was nur einmal mehr zeigt, mit welch profanen Mitteln und klassischen Methoden die USA versuchen, der lateinamerikanischen Politik ihr Diktat aufzudrücken. Und umso besser ist es daher, in Ecuador mit Noboa einen Kandidaten zu haben, der in den USA geboren ist, die doppelte Staatsbürgerschaft hat und der darauf setzt, die Beziehungen zu den USA in vielerlei Hinsicht zu vertiefen. Ein Noboa, der ebenso wie andere lateinamerikanische Präsidenten daran interessiert ist, die Präsidentschaft zu nutzen, um ihren ohnehin schon gewaltigen Reichtum zu vergrößern.

Die Regierung von Joe Biden im Besonderen und US-Politiker im Allgemeinen haben großes Interesse, im Präsidentenpalast eine Marionette ohne eigenen Willen einzusetzen, einen "Marionettenanführer", der in der Lage ist, die Interessen der USA in dem Land und damit in der Region zu befördern und durchzusetzen.

Die Idee eines Ecuadors mit größerer Autonomie gegenüber Washington wird bei González viel deutlicher. Ihre "Schlachtrösser", wie der Kampf gegen Korruption, Kriminalität und Drogenhandel, könnten den Rahmen bilden für ihren Wahlsieg am 15. Oktober.

Dafür müssen die Unterschiede zu einem Politiker weiter vertieft werden, der plötzlich aufgetaucht ist und dessen einzige Beziehung zum Präsidentenamt Ecuadors, zur Straße, zu Vorschlägen und Debatten, darin bestanden hat, seinen Vater zu sehen, der fünfmal für die Präsidentschaft kandidierte.

Das Land befindet sich wieder einmal in einem Kampf zwischen einer hartnäckigen Rechten ‒ und progressiven Kräften, die zeigen wollen, dass es möglich ist, Ecuador erneut zu verändern. Und unter diesem Gesichtspunkt geht es darum, die Schlinge um den Hals einer Rechten zu legen, die nach den Regierungen von Lenín Moreno und dem kurzen Jahr von Guillermo Lasso abgesetzt werden muss.

Um dies aber zu erreichen, musste sich der Kampf nicht nur gegen die politischen Kräfte der Rechten, die Medien und die ecuadorianischen Unternehmer richten, sondern auch gegen die USA, die aus Washington und aus Ecuador selbst verkünden, dass ein Sieg von Luisa González inakzeptabel wäre.

An den Wahlurnen wird sich zeigen, ob dieser Diskurs verfangen hat oder ob die ecuadorianische Gesellschaft es verstehen wird, ihre Wahl ohne Druck auszuüben.

Pablo Jofré Leal aus Chile ist freier Journalist und Buchautor

  • 1. Das Mittel der Muerte Cruzada wurde mit der Verfassung von 2008 als institutioneller Mechanismus eingeführt, um wiederkehrende Phasen politischer Instabilität und die Praxis verfassungswidriger Präsidentenstürze zu überwinden